Österreich testet im Vergleich zu anderen Industriestaaten um ein Vielfaches mehr – was ist der Mehrwert? Experten sagen, spätestens mit Omikron hat der "Testhebel" enorm an Kraft eingebüßt.

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Noch mehr als Österreich testet nur Zypern: Dort werden derzeit (Stand 4. Februar) im Schnitt pro Tag 119,11 Covid-Tests pro 1.000 Einwohnerinnen und Einwohner durchgeführt. In Österreich sind es 78,62. Auf Platz drei rangieren die Färöer-Inseln mit aktuell täglich 51,05 Corona-Tests pro Bevölkerungstausendschaft. Wobei anzumerken ist, dass die Covid-Tests auf der autonomen, aber zu Dänemark gehörenden Inselgruppe bereits stark gedrosselt wurden: Im Dezember 2021 lag der Färöer-Wert noch fast in Österreich-Nähe bei 71,15 Tests pro tausend und Tag.

Am unteren Ende liegt mit Blick auf die Industrieländer zum Beispiel Japan, wo sich von tausend Einwohnerinnen und Einwohnern im Schnitt nicht einmal zwei (1,75) pro Tag auf das Coronavirus testen lassen, in Kanada sind es 2,09. Auch Deutschland kommt mit 4,32 Tests aus, ähnlich wie Südkorea (4,94) oder die USA, wo der Tagestestschnitt pro tausend Personen bei 4,5 liegt (siehe Grafik).

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Testet Österreich zu viel oder die falschen Personen? Was bringen die allerorts verfügbaren Gratis-Corona-Tests? Welche Tests sind aus Sicht der Wissenschaft sinnvoll und notwendig, um entsprechende Entscheidungsgrundlagen für die Politik liefern zu können?

Planloses Kreuz-und-quer-Testen

Nachfrage beim Epidemiologen Gerald Gartlehner (Donau-Uni Krems) sowie beim Komplexitätsforscher Peter Klimek und dem Virologen Andreas Bergthaler (beide Med-Uni Wien). Tenor der Experten aus drei Wissenschaftsdisziplinen: Österreich braucht eine durchdachte, klar strukturierte Teststrategie. Wen wollen wir, vor allem dann, wenn die nächste Welle anrollt, warum testen?

Für den Epidemiologen steht fest, "dass das ziellose Kreuz-und-quer-Testen durch die gesamte Bevölkerung epidemiologisch nur mehr ganz geringen Einfluss auf das Gesamtgeschehen hat. Das Contact-Tracing ist im Prinzip zusammengebrochen. Damit gibt es eigentlich keine offizielle Konsequenz für Leute, die sich positiv testen und in Kontakt mit anderen waren", sagt Gartlehner zum STANDARD.

Die Omikron-Dynamik hat alles noch extrem beschleunigt, da helfen die im Schnitt 600.000 täglichen Testmomentaufnahmen auch nicht mehr viel, um Infektionsketten zu durchtrennen, wenn zwei Tage nach einer Infektion ein Test anschlägt, das Ergebnis nach 24 Stunden kommt und bis zur Behördeninformation noch mal Zeit vergeht: "Da habe ich innerhalb meiner Kontakte wahrscheinlich die meisten schon infiziert."

Keinen epidemiologischen Effekt

Welchen Ausweg schlägt Gartlehner vor? "Es braucht eine Strategie, auf wen wir uns mit den Tests konzentrieren wollen. Das diagnostische Testen von Menschen mit Symptomen soll es gratis geben. Und sonst überall dort, wo vulnerable Gruppen sind, in Alten- und Pflegeheimen, Spitälern, vielleicht in Behindertenwerkstätten. Die Schulen sind natürlich Multiplikatoren und das Einzige, was uns noch so halbwegs einen Überblick gibt, was epidemiologisch vor sich geht. Alles andere ist ein freundliches Bürgerservice, aber nicht viel mehr. Man kann vielleicht argumentieren, auch das ist wichtig, man nimmt den Leuten Unsicherheit und Ängste, aber epidemiologisch hat das keinen Effekt mehr."

Auch Komplexitätsforscher Klimek verweist bei der Beantwortung der Frage, wie viele Tests wir "brauchen" im Sinne einer Lupe auf das epidemiologische Geschehen, darauf, dass die Effektivität dieser Maßnahme "auch von der Phase der Pandemie abhängt". Heißt im Klartext: Omikron hat die Rahmenbedingungen enorm verändert, weil die Zeitfenster für Interventionen durch ein positives Ergebnis viel kleiner geworden sind. "Um eine Welle 'wegtesten' zu können, müsste man die gesamte Bevölkerung drei- bis viermal pro Woche PCR-testen. Das ist illusorisch", sagt Klimek. Aber man könne es in bestimmten Settings machen, also etwa indem man in Alters- und Pflegeheimen, in der kritischen Infrastruktur und in Schulen den Großteil durchtestet, dann seien breitflächige Tests eine sinnvolle Präventionsmaßnahme.

Der "Testhebel" schwächelt

Betonung auf eine Maßnahme. Denn, so Klimek: "Die Tests müssen in eine Gesamtstrategie eingebettet werden. Die meisten Fälle finden wir ohnehin nach wie vor über das symptomatische Testen. Den Überblick über das Infektionsgeschehen kann man im Prinzip auch über Abwasseranalysen und Sentinel-Systeme behalten." Insgesamt habe man in Österreich sehr oder zu lang versucht, "alles über den Testhebel zu regeln, auch in der Kommunikation", sagt Klimek. Ist dieser Testhebel jetzt also zu schwach geworden? "Wenn man es in ein Kosten-Nutzen-Verhältnis setzt, was man auch über andere Maßnahme erreichen kann, ja."

Viel hilft nicht immer viel

Der Virologe im befragten Expertentrio sieht im Zusammenhang mit den Corona-Tests in Österreich eine "international sehr ungewöhnliche Strategie, fast eine Anomalie. Wir testen zweimal so viel wie Israel, achtmal so viel wie die Schweiz und fast 20-mal so viel wie Deutschland, noch dazu viele PCR-Tests."

Nur hilft viel nicht automatisch viel: "Was ist die Teststrategie, und wie effektiv ist sie?", plädiert auch Bergthaler, dessen Team viele Testproben sequenziert hat, für eine systematische Evaluierung der Qualitätsstandards der oft ad hoc aufgebauten Testinfrastruktur und einen bewussteren Einsatz des Testens, das "auch eine ökonomische Dimension" habe.

Dennoch gelte, dass Testen "normalerweise einen zentralen Pfeiler im Pandemiemanagement darstellen kann und soll, weil es – richtig eingesetzt – eine der effektvollsten Maßnahmen ist" – im Verbund mit anderen Maßnahmen wie einer funktionierenden Kontaktverfolgung sowie Isolation und Quarantäne. (Lisa Nimmervoll, 8.2.2022)