Wollte sich gestern Abend "ausdrücklich" entschuldigen: Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP).

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Es dauerte nicht lange, bis sich Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) für ihre Wortwahl in Chats aus dem Jahr 2016, die der STANDARD aufbrachte, entschuldigte. Dass sie ihrem ehemaligen Kabinettschef Michael Kloibmüller schrieb "Rote bleiben Gsindl! Schönen Schitag!", sorgte schließlich für zahlreiche Reaktionen binnen kürzester Zeit. Franz Schnabl (SPÖ), Vizelandeshauptmann in Niederösterreich, forderte eine Entschuldigung, und Mikl-Leitner lieferte am Abend.

"So sollte man weder miteinander noch übereinander reden. Und ich möchte mich ausdrücklich bei jeder und jedem Einzelnen entschuldigen, die oder der sich von dieser Nachricht aus der Vergangenheit angesprochen und beleidigt fühlt. Ich habe meine Lehren aus der Arbeit in der damaligen Koalition während der Flüchtlingskrise gezogen – nämlich das Gegeneinander zu überwinden und auf die Zusammenarbeit zu setzen", ließ die ehemalige Innenministerin in einer Aussendung wissen.

"Miteinander" nur eine "hohle Phrase"

Bundesparteichefin Pamela Rendi-Wagner und der niederösterreichische Landesparteichef Schnabl verfassten in einer Reaktion darauf am Dienstag einen offenen Brief, der dem STANDARD vorliegt. In dem Schreiben erklären die beiden, dass sie Mikl-Leitners öffentliche Entschuldigung zwar akzeptieren. Es brauche allerdings auch eine Entschuldigung "gegenüber allen Menschen im Land für Ihre Wortwahl. Menschen sind Menschen. Kein Mensch ist Gsindl." Das in Niederösterreich propagierte "Miteinander" sei als "hohle Phrase" entlarvt.

Durch Mikl-Leitners Chats komme aber auch eine Haltung zum Vorschein, "die schädlich für Land und Republik ist: höchst qualifizierte Menschen zu verhindern, um Parteigänger in wichtige Positionen zu bringen." Die Nachrichten zeigten "parteipolitischen Machtmissbrauch". Den Brief beenden Rendi-Wagner und Schnabl in "Erwartung einer ehrlich gemeinten Entschuldigung gegenüber allen in Österreich".

Die Bundes-SPÖ folgte ihrer Parteijugend und konterte mit dem Slogan "Lieber rotes Gsindl als Hure der Reichen!". Damit spielten die Roten auf die bekannten Zeilen jenes ehemaligen Generalsekretärs im Finanzministerium an, der die ÖVP mit seinen Chats überhaupt erst in eine tiefe Krise gestürzt hat: Thomas Schmid. Dieser teilte seinem damaligen Kabinettsmitarbeiter im Jahr 2017 mit: "Vergiss nicht – du hackelst im ÖVP Kabinett!! Du bist die Hure für die Reichen!" In jener Zeit soll der Unternehmer Siegfried Wolf bei Schmid wegen einer Steuernachsicht interveniert haben. Es gilt die Unschuldsvermutung.

"Kanzler muss zu Sittenverfall Stellung nehmen"

Während Mikl-Leitner ihre Wortwahl bedauerte, blieben die Vorwürfe der Postenkorruption in ihrer Stellungnahme unkommentiert. Wie vom STANDARD berichtet, weisen Chats von Mikl-Leitner, aber auch von ihrem Nachfolger im Innenministerium, Wolfgang Sobotka (ÖVP), und dem ehemaligen Kabinettschef der beiden, Michael Kloibmüller, auf eine Einflussnahme bei Postenvergaben innerhalb der Polizei hin. Ein prominenter Fall dürfte sich 2017 in der Wiener Polizei ereignet haben, bei dem alle Hebel in Bewegung gesetzt worden sein dürften, um eine fähige Kandidatin zu verhindern, weil sie kein ÖVP-Parteibuch hatte. "Aber wie ich gesehen habe, dass wir unseren Mann durchbringen, dachte ich, den Sozen zu zeigen, wo der Hammer hängt", ließ Kloibmüller damals Sobotka wissen.

"Wenn alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, um eine topqualifizierte Frau davon abzuhalten, einen wichtigen Polizeiposten zu bekleiden, nur weil sie nicht der ÖVP zugeordnet werden kann, und es nur noch darum geht, Mitglieder der ÖVP-Familie in zentrale Posten auf Bundes- und Landesebene zu hieven, zeigt das, dass es der ÖVP nur um die eigenen Interessen geht – aber nicht um die Interessen der Bevölkerung und des Landes", reagierte SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch in einer Aussendung.

Die Chats würden abermals das Bild einer ÖVP zeichnen, die die Republik als Selbstbedienungsladen betrachte und Ministerien für ihre parteipolitischen Zwecke und das Vorankommen ihrer "Familienmitglieder" missbrauche, sagt Deutsch. Für ihn ist Mikl-Leitners Entschuldigung "nicht einmal das Papier wert". Deutsch sieht nun Bundeskanzler Karl Nehammer in der Verantwortung: "Er ist der Kanzler, er muss zu diesem Sittenverfall Stellung nehmen."

Aber nicht nur bei den Sozialdemokraten herrschte Entsetzen über den Gsindl-Sager. Auch die Neos schockierte die Wortwahl. Das politische Klima sei in den vergangenen Jahrzehnten immer von einem gewissem Respekt geprägt gewesen, sagte Generalsekretär Douglas Hoyos. Unter ÖVP-Obmann Sebastian Kurz sei dies jedoch komplett verloren gegangen. Der "neue Stil" der türkisen Volkspartei sei "alles andere als respektvoll".

Zuletzt meldeten sich auch die Grünen zu Wort: Als "Symptom eines politischen Kulturverlustes" bezeichnete Helga Krismer, Landessprecherin der niederösterreichischen Grünen, am Dienstagnachmittag den "Gsindl"-Sager. Die von der Landeshauptfrau nun nachgereichte Entschuldigung sei allerhöchstens "halbherzig". Sie ändere aber vor allem nichts am "entlarvenden Sittenbild von Arroganz, Freunderlwirtschaft, Sumpf und Filz im Land. Dass solche Aussagen überhaupt fallen, ist bezeichnend für ein politisches Denken, eine politische Kultur und einen politisch wie menschlichen Stil, der für uns als Grüne untragbar ist." (Lara Hagen, Jan Michael Marchart, 8.2.2022)