In der Serie "Alles gut?" denkt STANDARD-Redakteur Andreas Sator über eine bessere Welt nach – und darüber, welchen Beitrag er leisten kann. Melden Sie sich hier für seinen kostenlosen Newsletter an.

Auf Österreichs Straßen findet gerade eine kleine Revolution statt: Nach über 100 Jahren des Verbrennens von Benzin und Diesel laufen immer mehr Autos mit Strom. Damit Österreich seine Klimaziele erreicht, müssen wir als Gesellschaft aber einen Spagat schlagen: E-Autos müssen Benziner und Diesel so rasch wie möglich ersetzen. Zur gleichen Zeit braucht es aber auch eine Debatte über die Autoabhängigkeit im Land: Denn auch Millionen E-Autos brauchen massig Energie. Und erneuerbare Energie bleibt auf Jahrzehnte ein knappes Gut.

Die Oakland Bay Bridge in Kalifornien. So sieht Mobilität heute oft aus. Und wie in der Zukunft?
Foto: AFP / JUSTIN SULLIVAN

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1. Die Emissionen im Personenverkehr machen 18 Prozent der Treibhausgase Österreichs aus. Sie entstehen durch das Verbrennen fossiler Energie. Das muss durch Erneuerbare ersetzt werden. Das geht bei Autos am besten mit in Batterien gespeicherter Energie aus Sonne, Wind, Wasser oder Biomasse. Geht sich das aus bei fünf Millionen Autos in Österreich? Ja, das tut es. Um etwa 15 bis 20 Prozent würde der Strombedarf Österreichs steigen, wenn man die gesamte Autoflotte von Benzin und Diesel auf E-Autos umstellt. Das ist schaffbar, dafür müssen aber die Stromnetze massiv ausgebaut werden. Dafür ist aber genug Zeit.

2. Sind E-Autos schon so weit? Ja. Sind sie nicht noch viel zu teuer? Jein. Ein E-Auto zu kaufen ist teuer, aber nach einigen Jahren kommt es einen schon jetzt billiger als ein neuer Benziner oder ein Diesel, weil man mit Batterien viel weniger Energie braucht und so beim Tanken und im Betrieb Geld spart. Es gibt aber noch relativ wenig gebrauchte E-Autos, und in Österreich werden 75 Prozent der zugelassenen Autos gebraucht gekauft. Auf "Willhaben" sind derzeit 1.700 gebrauchte E-Autos und 73.000 gebrauchte Benziner und Diesel inseriert. In den vergangenen beiden Jahren wurden aber 45.000 neue E-Autos zugelassen, viele sind Firmenwägen, die dann oft bald gebraucht weiter verkauft werden.

Eine Studie aus der Schweiz zeigt, dass derzeit vor allem Reiche, Grüne und Technikaffine E-Autos fahren. Das muss sich schnell ändern.

3. Wie? E-Autos müssen bereits in der Anschaffung günstiger werden als Benziner und Diesel. Das wird zwischen 2025 und 2027 erwartet. E-Autos werden immer billiger, weil die massenhafte Herstellung von Batterien und die technologische Entwicklung die Preise senkt. Die Ladeinfrastruktur muss stark ausgebaut werden. Wer ein E-Auto fährt, klagt aber schon heute selten über "Reichweitenangst". Für die meisten Wege reichen E-Autos locker aus und auf längeren Wegen muss man eben kleine Pausen einlegen, um zu laden. Nicht zu Hause zu tanken ist aber manchmal mühsam, weil die Tarife teilweise sehr stark variieren.

Das sind aber keine unüberwindbaren Hürden. Wenn die Zahl der gebrauchten E-Autos und die der Ladestationen steigt, löst sich das Problem mit der Zeit. Es gibt auch Kipppunkte: Je weniger Benziner und Diesel es gibt, desto schlechter wird die Tankstellen-Infrastruktur und desto schneller sinkt ihr Wiederverkaufspreis. Wer sich beispielsweise 2027 einen Benziner kauft, kann ihn 2035 wohl nicht mehr sehr teuer verkaufen.

4. Wenn wir also die fünf Millionen Autos in Österreich mit Batterie betreiben, ist dann das Problem gelöst? Da ist die Frage, wie man das Problem definiert. Österreich könnte seine Mobilität zu 100 Prozent mit erneuerbarer Energie antreiben. Das Problem Fossile wäre also gelöst. Nur ist Energie auf absehbare Zeit ein knappes Gut: Um die Klimaziele zu erreichen und damit massive Folgeschäden abzuwehren, dürfen wir nur mehr wenig fossile Energie verbrauchen. Und erneuerbare Energie wird auf Jahrzehnte knapp sein, denn wir brauchen Strom aus Sonne und Wind künftig nicht nur für E-Autos, sondern auch für Lkws, Schiffe, Flugzeuge, aber auch für Wärmepumpen, die Stahlerzeugung, die Chemieindustrie.

5. Was können wir also tun? Mobilität neu denken. Das heißt nicht, dass nun dem Auto der Kampf angesagt werden soll. Das Auto hat enorme wirtschaftliche Vorteile gebracht. Das sieht man etwa an der Wertschöpfung, die durch Autobahnen entsteht. Das Wifo hat ausgerechnet: Der Ausbau hochrangiger Straßen in Österreich hat zwischen 2002 und 2007 im näheren Umfeld mindestens 22.000 neue Jobs geschaffen. Firmen und Arbeitnehmer wurden dadurch mobiler, das ließ die Produktivität steigen. Es lässt sich aber sehr gut argumentieren, dass das Auto einen höheren Stellenwert hat, also wünschenswert wäre.

6. Warum? Erstens gehen sich die Pariser Klimaziele für Österreich nicht aus, wenn auch in Zukunft so viel Auto gefahren wird wie heute, sagt der Mobilitätsexperte Holger Heinfellner vom Umweltbundesamt. Entscheidend ist, wie E-Autos zukünftig genutzt werden, wie viele Kilometer damit zurückgelegt werden und wieviel Energie dadurch verbraucht wird. Die stetig wachsende Zahl an Autos in Österreich einfach auf E-Autos umzustellen, wird nicht ausreichen. Zweitens geben 82 Prozent der Menschen in Österreich an, sie würden gerne in einer Stadt oder in einem Dorf leben, in dem man nicht auf das Auto angewiesen ist. Zu Fuß oder mit dem Rad zum Bäcker oder ins Kaffeehaus, das wollen viele.

7. Sonst noch was? Ja. Autos haben viel höhere Kosten, als man gemeinhin denkt. Ein VW Golf kostet seinen Besitzer im Schnitt 630 Euro im Monat. Ein Drittel ist der Wertverlust des Autos, je gebrauchter, desto weniger bekomme ich, wenn ich es verkaufe. Der Rest ist für Tanken, Versicherung, Parken und Reparaturen fällig. Forscher haben ausgerechnet: Besitzt ein Facharbeiter 50 Jahre lang Autos, die mit einem VW Golf vergleichbar sind, gibt er also 400.000 Euro dafür aus. Ein Drittel des Einkommens, das jemand mit der Qualifikation im Schnitt übers gesamte Leben inklusive Pension bezieht. Damit kann man ein Haus bauen.

Das zeigt: Wenn es keine Alternative zum Auto gibt, um etwa einzukaufen oder in die Arbeit zu kommen, ist das vor allem für Geringverdiener eine enorm hohe Belastung. Dazu kommt, dass die echten Kosten noch viel höher sind. Wer am Land gratis parkt, bekommt den Platz dafür von der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt. Man könnte dafür auch Geld verlangen. Parken wird also subventioniert. Das Geld könnte man auch für Kindergärten ausgeben. In Wien ist das Parken nicht gratis, aber fast: Mit 10 Euro pro Monat für alle Wienerinnen und Wiener wird Raum, der allen gehört, weit unter Marktpreis an Autos verkauft.

Autos verursachen außerdem durch den Reifenabrieb und das Verbrennen von Diesel oder Benzin Luftverschmutzung, die hohe Gesundheitskosten mit sich bringt. Auch das zahlt nicht der Autofahrer, sondern die Allgemeinheit. Autofahrer zahlen Abgaben, ja, aber viel weniger, als sie an Kosten verursachen. Rechnet man die Kosten für Treibhausgase, Staus und Straßen dazu, sind die Vollkosten eines VW Golf nicht mehr 630 Euro im Monat, sondern 1.030 Euro, so eine Studie. Nur weil die Allgemeinheit einen Teil übernimmt, ist das Auto für so viele leistbar. Sonst wäre die Hälfte des Lebenseinkommens eines Facharbeiters fürs Auto weg.

8. Sollten Autofahrer die vollen Kosten selbst tragen? Das wäre wünschenswert. Bei den Autobahnen funktioniert das schon, sie finanzieren sich über die Maut selbst. Für die vollen Autokosten wäre das aber politisch de facto unmöglich. Viele, die Autos besitzen, sehen sich schon heute als "Melkkuh der Nation". Außerdem ist durch 100 Jahre autozentrierte Raum- und Lebensplanung oft keine Alternative mehr da. Wer weit weg von Einkaufsmöglichkeiten und vom Arbeitsplatz lebt, steigt schwer um.

Das Parken nicht mehr zu subventionieren, eine hohe CO2-Steuer einzuführen und Pendlerpauschale und Dieselprivileg abzuschaffen, wäre also ökonomisch und ökologisch sinnvoll, sozial aber teils sehr belastend. Der Status quo ist also aus verschiedenen Gründen unzufriedenstellend. Wenn die mit dem Auto zurückgelegten Kilometer sinken sollen, kann es definitiv nicht der Weisheit letzter Schluss sein, dass jene, die wenig Auto fahren, die subventionieren, die mehr Wege damit zurücklegen. Das ist aber der Status quo.

9. Gibt es einen Ausweg? Weil das Auto stark subventioniert wird, lässt sich rechtfertigen, dass alleine deshalb für umweltfreundliche Alternativen noch viel mehr Geld ausgegeben werden sollte. Rad- und Fußverkehr verschmutzt die Luft nicht, verbrennt keine fossile Energie und macht die Menschen gesünder. Hier zahlt die Allgemeinheit nicht drauf, sie spart sich im Gegenteil Geld durch sinkende Gesundheitsausgaben. Forscher nennen das "second best"-Lösungen: Wenn mit der Abschaffung der Subventionen für das Auto die beste Lösung politisch unrealistisch ist, macht man sich eben an die zweitbeste.

Kluge Vorschläge liefert auch das Umweltbundesamt. Um die Klimaziele zu erreichen, hat das Institut unter hunderten Maßnahmen die effektivsten präsentiert: Ein Tempolimit von 100 für alle Benziner und Diesel (E-Autos dürften weiter 130 fahren), eine Citymaut, die beim Einfahren in Städte zu bezahlen wäre, den Ausbau der Infrastruktur für Radfahrer und Fußgehende, das Auflockern der Pflicht, bei jedem Wohnungsbau auch Parkplätze für die Bewohner schaffen zu müssen und höhere Investitionen in öffentliche Verkehrsmittel.

Weil das Auto bei vielen Teil der Identität ist, schlägt Stefan Gössling von der Universität Lund vor, nicht gegen das Auto, sondern für die Alternativen zu argumentieren. In der Stadt Kopenhagen, die eine der fahrradfreundlichsten der Welt ist, wurde in den Kampagnen das Auto gar nicht erwähnt. Es ging um die Schaffung einer neuen Identität als Radfahrerstadt. In Kopenhagen wurde hervorgehoben, man sei mit dem Rad schneller und billiger am Ziel und fitter. Letzteres ist wichtig, weil das Auto auch ein männliches Statussymbol ist. Darum müssen alternative Verkehrsmittel ebenfalls Angebote an die Identität machen.

10. Was ist mit dem Land? In vielen Städten nimmt der Anteil der Wege, die mit dem Auto zurückgelegt werden, bereits ab. In Wien nimmt trotz mäßig ausgebauter Infrastruktur der Anteil der mit Rad gefahrenen Wege stark zu. Da immerhin 31 Prozent der Menschen im Land in Städten leben, ist das ein wichtiger Hebel für das Absenken der Auto-Kilometer. Im ländlichen Raum, in dem 37 Prozent der Menschen leben, ist die Situation aber eine andere: Selbst wer gerne Rad fährt, tut das oft nur mit Bauchweh, weil es kaum Radwege gibt.

Die Verhaltensforscherin Alexandra Millonig fordert neben dem Ausbau der Infrastruktur auch einen Kulturwandel: Viele Wege seien wenige Kilometer lang und trotzdem sei es auf dem Land normal, alles mit dem Auto zu fahren Weil das Bewusstsein durch den Klimawandel steigt, sieht sie eine Chance, dass sich die sozialen Normen ändern. In Deutschland sinkt schon jetzt der Führerscheinbesitz unter jungen Menschen. Ein Kulturwandel ist notwendig, um in den nächsten Jahren den Spagat zu schaffen, E-Autos voranzutreiben und gleichzeitig die Abhängigkeit vom Auto durch schlaue Raumplanung und Politik schnell zu reduzieren.

Im nächsten Beitrag der Serie wird der Text fortgesetzt. Ich möchte mir noch tiefgehender ansehen, wie die Auto-Kilometer in Österreich gesenkt werden können. Melden Sie sich für den kostenlosen Newsletter an, um ihn nicht zu verpassen. (Andreas Sator, 6.3.2022)