Immerhin im selben Raum: soziale Distanzierung zwischen Emmanuel Macron (li.) und Wladimir Putin.

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Fünf Stunden lang verhandelten der russische und der französische Präsident am Montag im Kreml. Man duzte einander, saß aber weit weg voneinander, durch einen ellenlangen Tisch getrennt. Als Frankreichs Emmanuel Macron in den Raum trat, kam ihm Wladimir Putin nicht einmal entgegen.

Doch der Franzose ließ sich von dieser Inszenierung nicht beeindrucken. Anders als sein Vorvorgänger Nicolas Sarkozy, der von Putin 2007 regelrecht zusammengestaucht worden war, nannte Macron die Dinge beim Namen. Die Ukraine sei souverän und ihr Gebiet unverletzbar, betonte er in einer gemeinsamen Pressekonferenz. Er verstehe den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der sich 125.000 russischen Soldaten gegenübersehe. "Das macht ihn nervös", meinte Macron zu Putin gewandt.

Giftige Worte über die Nato

Der russische Gastgeber verzog keine Miene und kam seinerseits gleich zur Sache: Die Aufnahme der Ukraine in die Nato würde die Sicherheit Russlands gefährden, meinte er. Denn: "Die Nato ist weit davon entfernt, eine friedliche Organisation zu sein." Eine Journalistin von Ria Nowosti fragte wie gerufen, wie er zu dieser Einschätzung komme. Putin führte aus, die Nato habe schon Ziele in Belgrad, Syrien und Afghanistan bombardiert und ihren "rein militärischen Charakter" zur Genüge bewiesen. Macron stellte umgehend klar, dass die "äußerste Spannung" einzig auf den russischen Truppenaufmarsch zurückgehe.

In seinem diplomatischen Drahtseilakt räumte der französische Präsident aber auch ein: "Es kann keine Sicherheit für Europa geben, wenn es keine Sicherheit für Russland gibt." Nötig sei deshalb ein Prozess der "Deeskalation", der zu einem Gleichgewicht "neuer Sicherheitsgarantien" für alle Seiten führe. Dabei stimme er sich als aktueller EU-Ratsvorsitzender eng mit dem deutschen Kanzler Olaf Scholz ab.

Auf die Frage eines französischen Journalisten, ob eine Vermittlung überhaupt noch Sinn mache, wenn die eine Seite immer mehr Truppen aufmarschieren lasse, sagte Macron dramatisch: "Schaffen wir Frieden, solange noch Zeit ist."

Schmallippiger Putin

Putin wurde nicht viel konkreter. Er hielt es für "möglich", dass Macrons Vorschläge die Grundlage für "weitere Schritte" bilden werden. Er sprach zwar von "Kompromissen", aber nur um Macron für seine Vorschläge zu danken. Welche Vorschläge, sagte er nicht.

Der greifbarste Fortschritt bestand in dem Kreml-Treffen selbst: Indem sich Putin auf so lange Verhandlungen und eine Pressekonferenz einließ, erweckte er den Eindruck, dass er eine diplomatische Konfliktlösung einem militärischen Kraftakt an sich vorzieht. Dass er dies nicht ausdrücklich sagte, dürfte zu seiner Verhandlungsstrategie gehören.

Pariser Diplomaten ließen nach dem Treffen verlauten, Putin habe Macron im Vertrauen versprochen, nach dem Militärmanöver in Belarus vom Donnerstag bis zum 20. Februar die 30.000 russischen Soldaten von dort wieder abzuziehen. Auch sonst werde er an der ukrainischen Grenze keine weiteren Truppenübungen abhalten.

Dementi aus Moskau

Moskau dementierte am Dienstag derartige Zusagen. Die Berichte darüber seien falsch, sagte der Sprecher des russischen Präsidialamts, Dmitri Peskow. Frankreich und Russland seien sich bezüglich einer Deeskalation der Lage noch nicht einig geworden, diese sei aber nötig. Das Treffen habe die Basis für die weitere Arbeit daran gelegt. Peskow erklärte, die russischen Truppen würden nach dem gemeinsamen Manöver mit Belarus wieder abgezogen – ein Datum dafür nannte er nicht.

Ob daraus trotzdem ein Prozess der "Deeskalation" entstehen kann, wie Macron vorschlägt, muss sich weisen. Putin hat laut französischen Quellen auch Bereitschaft gezeigt, die Gespräche mit der Ukraine im sogenannten Normandie-Format – unter Aufsicht von Deutschland und Frankreich – zu verstärken. Dabei geht es in erster Linie um die Autonomie des Donbass, des russischsprachigen Grenzgebiets in der Ostukraine.

Umzingelungsgefühl steigt

Gleichzeitig wurde am Dienstag bekannt, dass sechs russische Kriegsschiffe vom Mittelmeer ins Schwarze Meer unterwegs sind. Das muss das ukrainische Gefühl der Umzingelung noch verstärken. Und dazu den Eindruck, dass militärischer Druckaufbau und politische Verhandlungen für Putin nicht zwei Paar Schuhe sind – sondern einander ergänzen.

Macron traf am Dienstag auch Selenskyj in Kiew; später am Tag war er mit Scholz und dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda in Berlin verabredet. Dann wird er erneut mit dem Kreml-Herrscher telefonieren. Die Krisendiplomatie soll schneller sein als Putins Truppenbewegungen. (Stefan Brändle aus Paris, red, 8.2.2022)