Spät am Abend hat sich Johanna Mikl-Leitner dann doch noch entschuldigt, zumindest mehr oder weniger. So wie in ihrer Chat-Nachricht von den Roten, die "Gsindl bleiben", sollte niemand "miteinander oder übereinander" reden – "ob diese Nachricht nun so formuliert wurde oder nicht".

Es ist gut, dass die niederösterreichische Landeshauptfrau zumindest halbherzig die Verantwortung für ihre Unmutsäußerung übernommen hat. Mit keinem Wort erwähnt werden aber die anderen Vorgänge, die unter anderem durch Recherchen des STANDARD aufgedeckt wurden: Postenkorruption, Interventionen und ein Fokus auf Partei- statt Sachpolitik.

Zu beobachten war dieses Muster schon bei früheren Chatenthüllungen: Die Nachrichten emotionalisieren, brennen sich ins öffentliche Gedächtnis ein und werden zu geflügelten Worten. "Ich liebe meinen Kanzler", "Reisen mit dem Pöbel" oder "Du bist Familie": Das sind nur einige der markanten Nachrichten, die Politikinteressierte auswendig können.

Die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner.
Foto: APA/HERBERT-PFARRHOFER

Besonders aus konservativen Kreisen kam dann immer ein Paket aus Kritik und Verteidigung: Einerseits sei eine solche Sprache inakzeptabel, andererseits handle es sich aber doch um vertrauliche Nachrichten, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren.

Antipathien

Beides geht am Punkt vorbei. Es ist weniger die Sprache, die inakzeptabel ist, sondern das, was sie zum Ausdruck bringt. Fast alle Menschen schimpfen und lästern einmal über andere, auch in derber Sprache. Aber kaum jemand hat den Willen oder die Macht, solche Antipathien zur Grundstimmung in einem Ministerium zu machen. Es war keineswegs so, dass im Innenministerium ab und zu über "Sozis" geschimpft, prinzipiell aber ein fairer Umgang gepflegt wurde. Vielmehr zeigen zahlreiche Recherchen, dass auch in einer Koalition das "Verhindern" von Roten oder das "Abschießen" von deren Inhalten fast die wichtigste Leitlinie des politischen Handelns dort war.

Dasselbe gilt für die berühmt-berüchtigten Chats von Thomas Schmid. Der "Pöbel"-Sager war kein Ausrutscher, sondern Ausdruck einer Geisteshaltung. Schon vor seinem Jobantritt bei der Staatsholding Öbag wollte der Alleinvorstand Schmid den dortigen Betriebsrat auflösen und nicht opportune Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verdrängen. Von der "Hure der Reichen", die man als Mitarbeiter in einem ÖVP-Kabinett sei, ganz zu schweigen.

Manche Strukturen und Systeme werden in den Chats auf den Punkt gebracht, deshalb sind sie auch von öffentlichem Interesse und berichtenswert. Sie können helfen, Aufmerksamkeit für die tieferliegenden Probleme zu wecken. Aber nur oberflächlich darüber zu debattieren, wer wann wem die peinlichste, blödeste oder skandalöseste Nachricht geschrieben hat, wäre verfehlt. Vielmehr sollten wir darüber diskutieren, wie man Postenbesetzungen und Verwaltungsvorgänge aus dem Griff der Parteipolitik befreien kann. Denn auch wenn derzeit die ÖVP im Fokus steht, gibt es ähnliche Problemstellungen bei anderen Parteien.

Gebraucht werden Lösungsvorschläge, wie jede Beamtin und jeder Beamte durch Kompetenz und nicht durchs Parteibuch Karriere machen kann. Diese Ungerechtigkeiten zu verhindern wäre enorm wichtig für das Land – jedenfalls viel wichtiger, als in Chatnachrichten immer höflich zu bleiben. (Fabian Schmid, 8.2.2022)