Vor 25 Jahren wurde in Portugal die Initiative Ciência Viva ("lebendige Wissenschaft") gestartet, um Kindern, aber auch Erwachsenen Forschung niederschwellig näherzubringen. Nun zeigen sich die Erfolge dieser Bemühungen.

Foto: Ciência Viva

Wenn es um wissenschaftliche Leistungen geht oder die Finanzierung von Forschung, dann gibt es andere und bessere europäische Länder als Portugal, die als Vorbilder dienen können. Portugal liegt mit einer Forschungsquote von gerade einmal 1,4 Prozent klar hinter Österreich (über 3,2 Prozent) und auch deutlich unter dem EU-Schnitt.

Aus Portugal kam bis jetzt nur ein einziger wissenschaftlicher Nobelpreisträger, der noch dazu besonders umstritten ist: Der Neurologe António Egas Moniz erhielt 1949 den Medizinnobelpreis für den "therapeutischen Wert der präfrontalen Leukotomie bei gewissen Psychosen". Die von ihm propagierte Lobotomie erwies sich als einer der großen wissenschaftlichen Irrtümer des 20. Jahrhunderts.

Doch es gibt einen Bereich, in dem Österreich und viele andere Länder Europas vom früheren Armenhaus Westeuropas etwas lernen können: In Sachen Wissenschaftsvermittlung hat Portugal in den letzten 25 Jahren eine ziemlich einzigartige Erfolgsgeschichte vorzuweisen – mit ganz konkreten und messbaren Auswirkungen.

Positive Folgen

Bei den naturwissenschaftlichen Pisa-Tests machte Portugal in den letzten zwei Jahrzehnten die größten Sprünge nach vorn. Bei der jüngsten Eurobarometerumfrage aus dem Vorjahr, die unter anderem die Einstellungen zur Forschung und das wissenschaftliche Wissen abfragte, belegte Portugal durchwegs Spitzenplätze. Und bei der Impfquote, die nach allen bekannten Untersuchungen stark mit dem Vertrauen der Bevölkerung in Wissenschaft korreliert, ist das Land Europameister.

Diese Ergebnisse sind umso erstaunlicher, da Portugal vor gut zehn Jahren in einschlägigen Umfragen noch eher schlecht abschnitt: Im Jahr 2010 etwa lag in Portugal die Zustimmung zur staatlichen Förderung von Grundlagenforschung bei 60 Prozent. Das war vor Österreich (48 Prozent) der vorletzte Platz unter den damaligen EU-27.

Heute sieht die Haltung gegenüber Wissenschaft jedenfalls in Portugal deutlich besser aus, während sich in Österreich wenig verändert hat. Portugiesinnen und Portugiesen setzten im EU-Vergleich besonders hohe Erwartungen in neue Technologien wie die Gentechnik, während Österreich hier Schlusslicht ist. Und während in Österreich nur 27 Prozent der Bevölkerung der Meinung sind, dass wissenschaftliches Interesse der Jugend für den künftigen Wohlstand wichtig ist, sind es in Portugal 80 Prozent.

Jugend forscht: Zwei Kinder in einem der 21 Science-Center von Ciência Viva.
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Lebendige Wissenschaft

Der Schlüssel zur geringen Wissenschaftsskepsis in Portugal liegt in einem Programm namens Ciência Viva (deutsch: lebendige Wissenschaft), das vor genau 25 Jahren startete. Ins Leben gerufen wurde es im Jahr 1998 von José Mariano Gago, einem Teilchenphysiker, der der erste Wissenschaftsminister Portugals war.

Rosalia Vargas: "Um mit Ciência Viva Erfolg zu haben, brauchte es einen langen Atem und viel Arbeit."
Foto: Ciência-Viva

"Diese Unterstützung durch die Politik war ganz zentral", erinnert sich Rosalia Vargas im Gespräch mit dem STANDARD. "Wir mussten den Minister nicht von der Wichtigkeit von Wissenschaftskommunikation überzeugen", sagt die Präsidentin von Ciência Viva, "sondern er hat uns gebeten, ein solches Programm auf die Beine zu stellen".

Von Anfang an sei es vor allem darum gegangen, Schulen in die Aktivitäten einzubinden und Vernetzungen zwischen Universitäten, der Gesellschaft und den Bildungseinrichtungen herzustellen. Heute hat die nichtstaatliche und nichtprofitorientierte Organisation rund 120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. "Um mit Ciência Viva Erfolg zu haben, brauchte es einen langen Atem und viel Arbeit", sagt Vargas.

Etwa die Hälfte des Budgets stammt von der öffentlichen Hand, dazu kommen – vor allem bei der EU eingeworbene – Drittmittel. Aber man profitiert auch indirekt von der Forschungsförderung, die vorsieht, dass ein Teil der Projektfinanzierung auch in Wissenschaftskommunikation investiert werden muss.

Science-Center als Herzstück

Institutionelles Herzstück von Ciência Viva sind Science-Center, also "Wissenschaftszentren": eine Art von modernen Forschungsmuseen mit niedriger Zugangsschwelle, die für die Besucherinnen und Besucher neben interaktiven Ausstellungen auch Laboratorien zum angeleiteten Experimentieren und andere Formen von Mitmachforschung bieten. Während man solche Einrichtungen in Österreich an einer Hand abzählen kann, gibt es in Portugal mittlerweile 21, vier weitere sind in Vorbereitung.

Der Palast der Entdeckungen in Lissabon ist Portugals größtes Science-Center.
Foto: Ciência Viva

Innovativ und für Österreich einigermaßen undenkbar ist auch deren Organisationsform, bei der die Steuerung von oben mit Initiativen der lokalen Basis gut ausbalanciert ist: "Die Gebäude – darunter auch eine umgewidmete Kirche, ein ehemaliges Gefängnis und ein früheres Kloster – werden von den jeweiligen Gemeindeverwaltungen zur Verfügung gestellt", sagt Ana Noronha, die Geschäftsführerin von Ciência Viva. "Auch die laufenden Kosten werden von den Kommunen übernommen." Geleitet werden die Science-Center hingegen von Lehrenden einer nahegelegenen Universität oder Hochschule, die zentral in die Aktivitäten eingebunden sind.

Die Science-Center stehen nicht nur den Schulen offen, deren Klassen dort bis zu einer Woche lang unterrichtet werden können, sondern der gesamten interessierten Öffentlichkeit. Zum dichten Ciência-Viva-Netzwerk gehören auch noch 237 eigene Wissenschaftsklubs in Schulen und 16 landwirtschaftliche Betriebe, wo Ciência Viva praxisnahe Wissenschaftsvermittlung in ländlichen Regionen betreibt.

Das dicht geknüpfte Netzwerk der Aktivitäten von Ciência Viva in Portugal.
Grafik: Ciência Viva

Die Vorteile dieser engmaschigen Struktur zeigten sich einmal mehr in der Pandemie, sagt Geschäftsführerin Noronha: "Als es etwa um Informationen über Covid-19 und die Impfungen ging, konnten wir auf das Ciência-Viva-Netzwerk zurückgreifen, das sehr viel besser organisiert war als das der wenigen Impfgegner." (Klaus Taschwer, 10.2.2022)