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Eine Probe wird zur Sequenzierung vorbereitet. Proben aus New Yorks Abwasser lassen Fachleute seit einem Jahr rätseln, denn die darin entdeckten Fragmente sind bei menschlichen Patientinnen und Patienten unbekannt.

AP / Frank Augstein

Schon bald nach Beginn der Pandemie begannen findige Mikrobiologinnen und Virologen, im Abwasser nach Fragmenten von Sars-CoV-2 Ausschau zu halten und auch alte Abwasserproben neu auf Sars-CoV-2 zu untersuchen. Da die neuen Coronaviren über Fäkalien, aber etwa auch beim Zähneputzen ins Abwasser gelangen, geben die Virenkonzentrationen im Abwasser zudem recht gut Aufschluss darüber, wie stark das Virus gerade zirkuliert. In Österreich wurde diese Aufgabe vom Projekt Coron-A übernommen, das regelmäßig Daten über die im Abwasser gefundenen Viren veröffentlicht, die aktuell darauf hindeuten, dass es mit Omikron eine überraschend lange Plateauphase an hohen Infektionszahlen gibt.

Einzigartige Konstellation

Auch das Abwasser aus 14 Kläranlagen von New York City wird seit Juni 2020 auf die neuen Coronaviren getestet. Ab Jänner 2021 tauchen in den Proben immer wieder seltsame Sars-CoV-2-Sequenzen auf, die den Forschenden bis heute Rätsel aufgeben: Die gefundenen Virusfragmente wiesen nämlich einzigartige Konstellationen von Mutationen auf, die bei menschlichen Patientinnen und Patienten noch nicht festgestellt worden waren – ein mögliches Anzeichen für eine neue, bisher unentdeckte Variante.

Auch alle Vergleiche mit den Hunderten von CoV-Varianten, die in die einschlägigen Datenbanken hochgeladen wurden, blieben ergebnislos, wie die Mikrobiologinnen Davyda Smith (Texas A&M University in San Antonio) und Monica Trujillo (Queensborough Community College in New York) und ihr Team letzte Woche im Fachblatt "Nature Communications" berichteten. Immerhin: Forschende der Universität von Kalifornien in Berkeley haben laut einem ausführlichen Bericht der "New York Times" ähnliche Sequenzen in einem kalifornischen Abwasserkanal gefunden.

Ähnlichkeiten mit Omikron

Das Team begann ab Jänner 2021 mit der gezielten Sequenzierung der Proben und konzentrierte sich dabei auf einen Teil des Gens für das Spike-Protein des Virus. Zu den beobachteten Mutationen zählen Q493K, Q498Y, E484A sowie T572N, und interessanterweise zeigen einige der kryptischen Linien einige der gleichen Mutationen wie Omikron – oder jedenfalls sind die Mutationen an den gleichen Stellen des Sars-CoV-2-Virusgenoms zu finden. Das könnte darauf hindeuten, dass die kryptischen New Yorker Virenvarianten ebenfalls Ergebnis desselben Selektionsdrucks sein könnten, der darauf abzielt, einige der körpereigenen Abwehrmechanismen zu umgehen.

Gibt es diese Mutationen auch in Österreichs Abwasser? Bei uns sind Forschende um Andreas Bergthaler (CeMM und Med-Uni Wien) für die Sequenzierung der Abwasserproben zuständig. In den Laboren in Wien wird aber im Wesentlichen nur nach bereits beschriebenen Varianten gesucht. Als die Studie aus New York als Preprint erschien, hat man aber auch im österreichischen Abwasser zumindest nach der Mutation Q493K gesucht – und wurde fündig, allerdings ohne ein zeitliches oder geografisches Muster, wie auf STANDARD-Anfrage bestätigt wurde.

Menschlicher Ursprung oder ...

Die große Frage ist natürlich, woher diese kryptischen Virenlinien im Abwasser New Yorks stammen, die sich – und das sind die guten Nachrichten – erstens nicht gegen andere Varianten durchzusetzen scheinen und zweitens wohl auch kein erhöhtes Gesundheitsrisiko für den Menschen darstellen. Im Wesentlichen gibt es zwei Hypothesen: Einige Fachleute vermuten, dass die mysteriösen Virensequenzen von Menschen stammen, deren Viren nicht durch Sequenzierung erfasst werden.

Da diese rätselhaften Fragmente in Kombination nur in einigen wenigen Abwasserkanälen New Yorks aufgetaucht waren, konnte bald ihr Herkunftsbereich eingeschränkt werden. Doch alle Nachfragen bei Ärztinnen und Ärzten sowie in Krankenhäusern der betroffenen Gegend blieben ergebnislos: Es konnte keine infizierte Person mit solchen Mutationen gefunden werden.

... tierischer Virenwirt?

Andere Expertinnen und Experten wiederum gehen davon aus, dass die mysteriösen Virenfragmente von infizierten Tieren stammen. Was für diese Hypothese spricht: Die unbekannten Virensignaturen machten im Mai und Juni 2021, als die Zahl der menschlichen Covid-19-Fälle in der Stadt gering war, einen größeren Anteil der viralen RNA im Abwasser aus.

Doch welche Tiere kommen infrage? Wer sich mit New York ein bisschen auskennt, denkt natürlich gleich einmal an die riesige Rattenpopulation der Stadt. Doch die ursprüngliche Version von Sars-CoV-2 war noch nicht imstande, Mäuse und Ratten zu infizieren. Das wurde erst mit der Beta-Variante möglich. Was eher auch dagegen sprich: Bis jetzt wurde noch keine Ratte gefunden, die infiziert gewesen wäre. Könnten es andere Tiere wie Eichhörnchen oder Mäuse sein?

Das Risiko der Rückübertragung

Auch wenn es noch keine konkreten Hinweise gibt, stellt sich mit dieser neuen Studie einmal mehr die Frage, wie groß das Risiko von Covid-19-Infektionen bei Tieren, eine Weiterentwicklung des Virus im tierischen Wirtskörper und eine Rückübertragung auf den Menschen ist. Genau das ist auch eines der drei Szenarien, die für den Ursprung der so stark mutierten Omikron-Variante und der Subvariante BA.2 infrage kommen. (Als die beiden anderen Szenarien gelten HIV-Erkrankte mit einem geschwächten Immunsystem oder eine mehrmonatige Weiterentwicklung des Virus in Menschen, die von den Sequenzierlaboratorien in Afrika unbemerkt blieben.)

Der Genetiker Ulrich Elling (IMBA der ÖAW) kann der Hypothese einer Übertragung auf Mäuse und einer Rückübertragung auf den Menschen durchaus etwas abgewinnen. Bestimmte Signaturen in Omikron beziehungsweise des Subtyps BA.2 würden diese Hypothese stützen; das würde auch eine rezente Studie im "Journal of Genetics and Genomics" nahelegen Konkrete Beweise dafür fehlen aber. Dokumentiert sind bis jetzt nämlich nur Infektionen und Rückübertragungen durch zwei Tierarten: durch Zuchtnerze in Dänemark und kürzlich durch niesende Hamster in Hongkong. Beide Male bedeutete das für die betroffenen Tierpopulationen nichts Gutes. (Klaus Taschwer, 9.2.2022)