Europäische Unternehmen sollen für Umweltverstöße wie illegale Rodungen haften.

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Mehr als 100 Unternehmen haben sich in einem Schreiben an die Europäische Kommission gewandt. Sie fordern ein Lieferkettengesetz, das "alle Firmen in der Europäischen Union" zum Schutz der Menschenrechte und der Umwelt verpflichtet, und zwar so bald wie möglich.

Bisher gibt es nur in einzelnen Staaten wie Frankreich oder Deutschland Gesetze, die Unternehmen für Verstöße ihrer Zulieferer verantwortlich machen. Auf EU-Ebene laufen derzeit Verhandlungen. Die Unternehmen, die das Schreiben unterstützen – darunter etwa Ikea, Danone, Weleda und Patagonia – fordern nun eine EU-weite Regelung, die über die bisherigen nationalen Standards hinausgeht.

Umfassende Haftung

Das deutsche Gesetz, das 2023 in Kraft tritt, bindet nur Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und bezieht sich nicht auf die gesamte Lieferkette, sondern in erster Linie auf direkte Zulieferer. Bei indirekten Zulieferern haften Konzerne nur, wenn sie von Menschenrechtsverletzungen Kenntnis hatten.

Bei Verstößen drohen zwar Bußgelder, aber keine Klagen auf Schadenersatz. Hier geht der aktuelle Vorschlag der Unternehmen weiter: Konzerne, die in ihren Lieferketten Menschenrechte oder Umweltstandards verletzen, sollen demnach auch zivilrechtlich für Schäden haften.

Kritik von Interessenverbänden

Deutschen Interessenverbänden geht der aktuelle Vorschlag mitunter zu weit. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) forderte in Beratung mit der Europäischen Kommission, dass eine zivilrechtliche Haftung ausgeschlossen wird. Außerdem sollen nur Direktlieferanten in die Regelung einbezogen werden.

Auch die österreichische Wirtschaftskammer (WKÖ) betont auf Anfrage des STANDARD, dass die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft nicht durch "unkalkulierbare Haftungsrisiken" geschmälert werden soll. Unternehmen sollten nicht für Schäden haften, wenn sie diese nicht direkt verursacht haben, vernünftigerweise nicht davon wissen konnten oder wenn sie Sorgfaltsmaßnahmen getroffen haben.

Die Wertschöpfungsketten sind laut WKÖ "extrem komplex". Kein Unternehmen könne sie außerhalb seines unmittelbaren Einflussbereichs kontrollieren. Schon jetzt werden soziale Verantwortung, Menschenrechte und Umweltschutz in Europa stärker gelebt als in jedem anderen Wirtschaftsraum, betont die Kammer.

Kritik an Ikea

Dass sich die Unternehmen im Schreiben selbst verpflichten wollen, liegt auch daran, dass sie teilweise schon jetzt stärker auf ökologische und soziale Bedingungen bei Zulieferern setzen und dadurch Nachteile fürchten. Denn Konkurrenten, die weniger genau auf Menschenrechte in den Lieferketten achten, können billiger produzieren.

Der Ikea-Konzern, der die aktuelle Forderung unterstützt, war zuletzt selbst mit Vorwürfen der österreichischen Initiative für ein Lieferkettengesetz konfrontiert. Demnach soll der Konzern in seinen eigenen Wäldern in Rumänien systematisch Umweltstandards verletzt haben. Ikea bestreitet die Vorwürfe.

Aktuell berät die Europäische Kommission über das Gesetz. Am 23. Februar wird die Behörde erste Vorschläge für eine "nachhaltige Unternehmensführung" vorstellen. Im Gegensatz zu Deutschland will Österreich auf den EU-Rechtsakt warten. (Jakob Pflügl, 9.2.2022)