Springer-Chef Mathias Döpfner hielt lange an Julian Reichelt fest, musste ihn aber dann doch feuern.

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I'll be back" (Ich komme wieder), heißt es etwas prophetisch auf dem Twitter-Account von Julian Reichelt. Dort wünscht der ehemalige Chefredakteur von Europas größter Boulevardzeitung, der Bild, auch viel Spaß bei der "Übertragung der großen olympischen Propagandashow aus Peking".

Vor kurzem war Reichelt zu Gast bei Servus-TV. Er muss sich seine Kanäle jetzt suchen, die ganz große Bild-Bühne hat er nicht mehr, seit der Springer-Verlag ihn im Oktober 2021 rauswarf.

Er war damals wegen Vorkommnissen nicht mehr haltbar, die die New York Times es beschrieben hatte: "Vorwürfe zu Sex, Lügen und eine Geheimzahlung bei Axel Springer". Reichelt, so das US-Medium, habe seine Position als Chefredakteur missbraucht, gegen Sex habe es Beförderung gegeben. Springers Vorstandsvorsitzender Mathias Döpfner, der große Stücke auf Reichelt gesetzt hatte, musste damals handeln.

Expansion

Eine MeToo-Debatte konnte Döpfner nicht gebrauchen, schließlich expandiert er auf den US-Medienmarkt. Springer hat das angesehene Portal Politico gekauft, an Business Insider hält der deutsche Verlag 97 Prozent. Reichelt war raus, die Wogen glätten sollte der bisherige Chefredakteur der Welt am Sonntag, Johannes Boie, über den man sagt, er habe garantiert kein Feldbett in seinem Büro stehen.

Nun aber holt der Fall Reichelt den Springer-Verlag und Döpfner wieder ein. Diesmal erhebt eine britische Zeitung, die Financial Times (FT), schwere Vorwürfe gegen den Springer-Chef. Er soll versucht haben, den Missbrauch und die Affäre zu verschleiern.

Die Vorwürfe gegen Reichelt hatte bereits zu Jahresbeginn 2021 im Auftrag des Springer-Verlags die Kanzlei Freshfields untersucht. Reichelt war eine Zeitlang freigestellt, durfte dann aber wieder auf seinen Chefposten, bis er im Herbst 2021 nach dem New York Times-Bericht endgültig gehen musste.

Die Erklärung von Springer zur Wiedereinsetzung als Bild-Chef zuvor: Reichelt habe zwar Vermischung von Beruflichem und Privatem eingeräumt, aber den Vorwurf der sexuellen Belästigung zurückgewiesen.

"Sie wussten alles von Beginn an"

Tatsächlich aber, so die FT, habe Döpfner schon lange vor der Freshfields-Untersuchung Kenntnisse über Reichelts Gebaren gehabt. So hätten zwischen 2019 und 2020 mindestens fünf leitende Redakteure gegenüber Springer-Vorstandsmitglied Stephanie Caspar Bedenken über Reichelts Verhalten und seine beleidigende Sprache geäußert.

"Sie wussten alles von Beginn an", wird eine jener 31 Personen zitiert, mit denen die Financial Times gesprochen hat, die in die Untersuchung eingebunden war. Zitiert wird auch ein Springer-Vorstandsmitglied mit den Worten, wenn die Untersuchungsergebnisse von Freshfields veröffentlicht würden, sei dies nicht zu überleben ("not survivable") – was nicht nur für Reichelt gelte, sondern auch für Döpfner selbst. Das steht im Widerspruch zur Version, die Springer kolportierte, nämlich dass man nicht Bescheid gewusst habe.

Böhmermann hat Fragen

Laut FT hat Döpfner auch versucht, den Spieß umzudrehen und einen Anwalt engagiert, um belastendes Material aufzubringen gegen Reichelts Ex-Freundin, die als Zeugin aufgetreten war, sowie zwei "deutsche Satiriker", die den Fall thematisiert hatten.

Via Twitter bat Jan Böhmermann (ZDF Magazin Royale) nach der Veröffentlichung: "Liebe FT, könntest Du bitte überprüfen, ob einer der ,zwei deutschen Satiriker‘ vielleicht Jan Böhmermann heißt?" Döpfner warf er in einem Tweet vor, "mit Stasi-Methoden gegen den ,DDR-Unrechtsstaat‘" tätig zu werden. Außerdem fordert er: "Dr. Mathias Döpfner, ich will Deine Ausforschungsliste sehen."

Springer erklärt, der FT-Artikel zeichne ein "irreführendes Bild der Compliance-Untersuchung, der daraus gezogenen Konsequenzen, des gesamten Unternehmens und seiner Führung". Man räumt aber ein, nicht alles richtig gemacht zu haben. Der größte Fehler sei gewesen, Reichelt "zu lange zu vertrauen". (Birgit Baumann aus Berlin, 9.2.2022)