Bis 2028 sollen in der Seestadt im Nordosten Wiens 25.000 Menschen wohnen. Das Stadtentwicklungsgebiet im Bezirk Donaustadt zählt zu den größten Europas. Noch dröhnt an jeder Ecke der Baulärm, geht es hier doch zunächst einmal um basalere Dinge, wie Wohnungen, Geschäfte, Spielplätze, Verkehrsanbindungen. Jetzt aber sollen auch Kunst und Kultur langsam an Raum gewinnen.
Zehn Gehminuten von der U2-Endstation entfernt eröffnete nun das neue Veranstaltungszentrum Kulturgarage. Das heißt so, weil das Gebäude als Hochgarage konzipiert ist: Oben parken die Autos, im Erd- und Untergeschoß entstanden Räume für Kunst und Kultur.
Auf 2.200 Quadratmeter Fläche erstreckt sich ein lichtdurchflutetes Foyer bzw. Atrium, das durch flexible Wände in kleinere Räume unterteilt werden kann. Herzstück des Kulturzentrums ist ein Veranstaltungssaal mit einer 70 Quadratmeter großen variablen Bühne, modernster Technik inklusive Videowall im Kinoformat. Bis zu 450 Sitzplätze sind möglich, 70 davon auf einer Galerie. Getauft hat man den Saal nach Berta Zuckerkandl, Schriftstellerin und legendäre Salonnière im Wien um 1900.
Kulturelle Pioniere
Errichtet wurde der Komplex vom gemeinnützigen Bauträger WBV-GFW, als Betreiber fungieren die Wiener Volkshochschulen (VHS), die damit bereits ihre zweite Niederlassung in der Seestadt erhalten. "Es ist unser Grundgedanke seit den 70er-Jahren, Bildung und Kultur in die Stadtränder zu bringen", sagte VHS-Geschäftsführer Herbert Schweiger bei der Eröffnung am Mittwoch. Auch heute wolle man diese Pionierstellung wahrnehmen.
Zur Eröffnung gratulierte Bildungsstadtrat und Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (Neos), der das Projekt als "Raum der Begegnung, des Lernens und des Staunens" bezeichnete. Mit Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ), die selbst Initiativen in den städtischen Randgebieten setzen will, sei das Vorhaben abgestimmt. Man ergänze sich, so Wiederkehr. Programmatisch sollen der Kulturgarage jedenfalls keine Grenzen gesetzt sein: Für alle Kunstsparten, von Musik- und Sprechtheater über Kabarett und Konzerte bis hin zu Ausstellungen, Lesungen, Diskussionen und Vorträgen soll Platz sein.
Einmietung möglich
Die Volkshochschulen agieren dabei nicht als Veranstalter, sondern als "Ermöglicher": Konkret können Kulturschaffende an die VHS herantreten und sich mit ihren Projekten in der Kulturgarage einmieten. Intendanz sei keine vorgesehen, die Entscheidung, wer reindarf, liegt bei den VHS, es sei aber genug Platz für alle Interessierten da, heißt es.
Künstlerisch eröffnet wird am 18. Februar mit einem Konzert der Wiener Symphoniker, am 19. und 20. Februar folgt Ohne August, eine A-cappella-Oper (ohne Orchester) des seestädtischen A-cappella-Chors. Für den Start sind die VHS auch von sich aus an die Kreativagentur Sipario herangetreten, mit dem Wunsch, dass diese der Bühne von Beginn an möglichst breitenwirksam Leben einhauche. Sipario wurde 2014 von Kulturmanager Jérôme Berg und Musicaldarsteller, -regisseur und -autor Benedikt Karasek gegründet. Die Agentur setzte bislang auf Eventmanagement und Kulturvermittlung, etwa als Produzent der Nestroy-Preise und des Musicalsommers Winzendorf (NÖ).
90 Prozent Eigenfinanzierung
Die sechsköpfige Agentur hat ihren Sitz mittlerweile in der Seestadt, in der Kulturgarage will man nun erstmalig Eigenproduktionen als Repertoirebetrieb anbieten: 90 Prozent der Kosten will man selbst über Einnahmen und Querfinanzierung decken, 40.000 Euro kamen an öffentlicher Subvention dazu. Als erste Premiere steht am 24. Februar Dracula – Das Musical von Frank Wildhorn, Don Black und Christopher Hampton auf dem Programm. In der Titelrolle bietet man den Song-Contest- und Dancing Stars-Teilnehmer Cesár Sampson auf, der erstmals als Musicaldarsteller in Erscheinung tritt. Regie führt Benedict Karasek, für die Musik sorgt freilich kein ganzes Orchester, sondern ein kleines Bandensemble.
Ab 20. März bringt Sipario dann das nächste Musical, Der kleine Horrorladen, auf die Bühne, ab 8. April startet man pünktlich zu Ostern mit Jesus Christ Superstar, und am 5. Mai soll ebenfalls anlassbedingt die Sprechtheaterproduktion Muttertag (nach dem Kabarettstück und Film von Alfred Dorfer und Roland Düringer) Fahrt aufnehmen. 80 Spieltage plant Sipario für das Jahr 2022, ob das rentabel werde, wisse man noch nicht, ein bisschen Risiko gehöre jedenfalls dazu.
Warum so viel Musical?
Warum man aber ausgerechnet Musical produziert, wo Wien doch viele Millionen in zwei Musicalhäuser steckt – ein ewiger Kritikpunkt etwa auch der Neos? Bildungsstadtrat Wiederkehr sieht das gelassen: Es handle sich ja um Produktionen mit nur geringem Subventionsanteil, und es sei außerdem erst der erste Schritt, um die Bühne publikumswirksam zu positionieren. Sowohl Wiederkehr als auch die VHS betonen, dass es "keine reine Musical- oder Kabarettbühne werden soll", sondern ein offenes Kulturzentrum.
Jérôme Berg von Sipario versichert, dass nicht daran gedacht werde, den Musicalproduktionen der Vereinigten Bühnen Wien Konkurrenz zu machen. "Das geht gar nicht." Als junges Team, das sein Publikum erst finden muss, wolle man zunächst auf Populärstoffe wie Dracula setzen. So das angenommen wird, könne man sich "peu à peu" auch anderen Stoffen zuwenden. (Stefan Weiss, 10.2.2022)