"Die Österreicher im Einzelnen sind jeder für sich Politiker. Sie hassen die Politiker ihres Landes umso mehr, je mehr sie ihnen ähneln. (...) Stundenlang können Österreicher zusammensitzen und sich beschweren, sich auslassen, bekritteln, schimpfen. (...) Diese einerseits Redelust, andererseits Redeschwäche und auch die vorhandene Identitätsschwäche, denn der Österreicher weiß nicht, wer er ist, erzeugen die typisch österreichische Charaktermischung aus Unterwürfigkeit, zu großer Freundlichkeit und plumper Schmeichellust, also die stets vorhandene Vereinnahmungstendenz und die willkürlich umschlagende oder schon von Anbeginn herrschende Frechheit, Stänkerlust, Grantigkeit und Unfreundlichkeit. (...) Jeder Erfolg muss von vornherein nicht mit rechten Dingen zugegangen sein. Es gibt keine positive Einstellung zum Erfolg. Hat jemand Erfolg, kann etwas nicht mit ihm stimmen. (...) Die offene Auseinandersetzung, der offene Konflikt sind unerwünscht – und wenn es sie doch gibt, manifestieren sie sich immer nur in gegenseitigen Beschimpfungen, die begierig von den nicht am Konflikt Beteiligten aufgenommen und weitererzählt werden. (...)

Vielleicht ist es deshalb so schwer zu fassen, weil es urban ist (Wien) und entsetzlich älplerisch zugleich (Provinz), vor allem aber, weil der Österreicher sich ganz anders sieht, als er gesehen wird." (Hans Rauscher, 9.2.2022)