Den Subotron-Shop im Wiener MQ gibt es nicht mehr, die Idee hinter der Initiative sehr wohl.

Foto: Heribert Corn

Können Videospiele denselben Stellenwert erreichen wie "Let It Be" oder "Die Reise zum Mittelpunkt der Erde"? Verdient es das Medium, in Galerien oder Museen ausgestellt zu werden, um es für nachfolgende Generationen zu konservieren? Kurz gesagt: Sind Videospiele Kulturgut?

Ja, sagt Jogi Neufeld – und er darf das. Seit fast 20 Jahren kämpft der gebürtige Schweizer, dessen Eltern aus Wien ausgewanderten und 1994 wieder zurückkehrten, für den kulturellen Stellenwert von Videospielen in Österreich. Mit Subotron gründete er 2004 eine Kulturinitiative, die mehr für das Medium getan hat, als viele zugeben wollen. Der Missionar, Sammler und Kurator ist sich sicher: Jugendliche können sich eine Welt ohne digitale Spiele nicht mehr vorstellen, und dank barrierefreien Technologien wie Augmented Reality und Virtual Reality wird das Medium endlich auch für ältere Generationen den Stellenwert genießen, den es verdient.

Jogi Neufeld setzt sich seit fast 20 Jahren für die Gleichberechtigung von Spielen ein.
Foto: Jogi Neufeld

DJ und Gamer

Die Liebe zu Videospielen erwischt Neufeld schon früh. Im Kindesalter verbringt er mit seinem besten Freund viel mehr Zeit an einem Pong-Automaten, als von den Eltern erlaubt. Zudem sammelt er wie viele in seinem Alter die kleinen Games-Konsolen namens Tricotronic. Als Teenager verliert er das Medium dann ein wenig aus den Augen. Verbringt seine Zeit lieber im Dreieck Arena, Flex und Wuk. "Ich wollte nicht bei den Gamern sein, sondern dort, wo die Mädels sind – die waren nämlich ganz sicher nicht bei den Gamern", erinnert sich Neufeld.

Er entdeckt sich in der Musikszene neu, baut dort einen Freundeskreis auf und legt als DJ elektronische Musik auf. Ein neuer Lebensmittelpunkt ist gefunden, aber der alte sollte zurückkehren – ganz unverhofft. Auf einem Flohmarkt sucht der Elektronik-DJ eigentlich nach neuen Platten, stößt dabei aber überraschend auf ein Donkey Kong Game & Watch – ein altes Tricotronic seiner Jugend. Mit dem Kauf dieser kleinen Rarität verfällt er in eine Sammlerleidenschaft, die er nie wieder ablegen wird.

In Videospielen sieht der Enthusiast, der 2004 seine Konsolen und Videospielsammlung aus Platzgründen in das Museumsquartier verlagert, vor allem das gesellschaftliche Potenzial. Früher sei man in den Club gegangen, um sich mit Gleichgesinnten zu treffen und über private Themen zu sprechen. Heute loggen sich Jugendliche in Discord oder ähnliche Kanäle ein und sprechen über ihr Leben und die Welt. Sich mit Videospielen zu beschäftigen, über sie und durch sie zu kommunizieren, ist zu einer Lebensrealität geworden.

In anderen, bereits etablierteren Kulturbereichen ist das bereits angekommen, auch wenn der Weg dorthin kein einfacher war. Inzwischen organisiert Neufeld Kooperationen mit Museen wie dem Mak, um die Faszination für Videospiele einem breiteren Publikum verständlich zu machen. Viele der Verantwortlichen würden das Potenzial bereits erkennen oder die Materie einfach besser verstehen wollen. Aber es gibt auch Blockaden und ein großes Maß an Unverständnis. Oft merkt Neufeld, dass vor allem die Scheu vor diesem "gefährlichen Medium", diese "Angst vor dem Interface" Türen verschließt. Oft sagt der Blick aus der Distanz: "Des is nix Gscheits."

Der Erfolg von Videospielen lässt sich von diesen Vorbehalten aber nicht aufhalten und findet wellenweise immer wieder verstärkt Gehör. "Es gab eine Zeit, da wollte jede Firma etwas zu Gamification anbieten", sagt Neufeld. Jetzt sei das Metaverse in aller Munde, und jeder würde gern Teil davon sein – oft ohne zu wissen, worum es dabei genau geht. Parallel dazu sorgte der weltweite Erfolg von Videospielen dafür, dass sie popkulturell aufgegriffen wurden. "Big Bang Theory" machte Nerds salonfähig, auch wenn viele Klischees bedient wurden. Mittlerweile haben Videospiel-Franchises das Kino erobert, Musiker spielen live in Videospielen ihre Konzerte, und so manches Buch über das Medium erreichte Bestseller-Status.

Wiener Museen, darunter auch das Mak, überraschen immer wieder mit der Verschmelzung von digitaler und realer Welt.
Foto: Frederick Baker, Still aus dem Director’s Cut zu KLIMT’S MAGIC GARDEN: A Virtual Reality Experience by Frederick Baker, 2018 Ein Ausstellungsexperiment im MAK FORUM © Frederick Baker

Dennoch gibt es in manchen Kulturkreisen anhaltenden Widerstand. Diesen erklärt sich Neufeld mit dem offensichtlichen "Nachteil" von Videospielen, dass man sich in diese sehr aktiv einbringen müsse. Hier zitiert er gerne die FM4-Moderatorin Conny Lee, die Videospiele einmal als "Lean Forward Medium" bezeichnete. Man muss etwas tun, interaktiv sein – ganz im Gegensatz zu Büchern oder Musik, die eine vorgefertigte Narration bieten. Zwei Punkte sieht Neufeld hier entscheidend, um künftig noch mehr Menschen von der Kraft des Mediums zu überzeugen.

Zunächst einmal gibt es, wie in allen anderen Kulturbereichen auch, neben dem Mainstream eine starke alternative Szene. Die sogenannten Impact Games, früher auch als Serious Games bezeichnet, nehmen sich Themen aus Wissenschaft oder der Pädagogik an und machen diese auf spielerische Weise verständlich oder wollen sie diskutieren. Diese Szene könnte und sollte viel stärker in die Öffentlichkeit gehoben werden. Dadurch könnten Vielfalt und Relevanz von Videospielen abseits der bloßen Unterhaltung verdeutlicht werden.

Hinsichtlich der Art und Weise, wie mit Spielen interagiert wird, sieht Neufeld vor allem Virtual Reality und Augmented Reality als wichtige Eisbrecher. In interaktiven Ausstellungen wird VR bereits oftmals eingesetzt, etwa um durch ein Bild von Klimt zu wandern und es so völlig neu zu entdecken. Dabei braucht es noch immer eine führende Hand, um den Menschen die ersten Schritte zu erklären. Aber es sind kleinere Schritte als früher, die Interaktion ist näher am realen Leben.

Mit Augmented Reality, also dem Übereinanderlegen einer digitalen und physischen Ebene, macht man das Medium für alle verständlich – und zeigt, dass niemand davor Angst haben müsste. "Das wird zudem Tür und Tor für eine Avantgarde von jungen Entwicklern öffnen, die mit den neuen Möglichkeiten herumexperimentieren werden."

Dank Virtual Reality könnten auch bisher skeptische Zeitgenossen Games als Kulturgut erkennen.
Foto: Klimt's Magic Garden a Virtual Reality Experience by Frederick Baker, MAK Mona Heiß

Muttermilch

Wenn er versucht, seinem älteren Sohn zu erklären, dass es einmal eine Welt ohne Internet gab, dann sieht ihn dieser nur verständnislos an. "Technologie, die wir als Jugendliche nicht hatten, wurde mit der Muttermilch an die Gen Z verteilt." Digitale Kompetenz und virtuelle Turniere, Stichwort E-Sport, gehören heute zum Alltag dieser Jugendlichen. Hier wird nicht gefragt, ob es sich bei Videospielen um Kulturgut handelt – sie sind es für diese jungen Menschen und werden es immer bleiben. (Alexander Amon, 22.2.2022)