Der Kampfstil Kung-Fu wird in diesem Spiel zelebriert wie nie zuvor.

Foto: Sloclap

Der Vater ermordet, von einem Bösewicht samt seiner Gang – das schreit nach Rache. Im Martial-Arts-Spiel "Sifu" (https://www.sifugame.com) des französischen Indie-Studios Sloclap macht man sich Jahre später wahlweise als Sohn oder Tochter des getöteten Kung-Fu-Meisters auf, um die Mörder zur Strecke zu bringen. Der Weg führt durch Schauplätze einer modernen chinesischen Großstadt bis zum Schlusskampf, doch auf dem Weg dorthin warten nicht nur jede Menge Gangster und Kleinkriminelle, sondern auch vier mächtige Handlanger des Oberbosses.

Fünf große Levels müssen samt dazugehörigen Bosskämpfen überwunden werden, zwischen den einzelnen Ausflügen kehrt man in seine Basis zurück. Das klingt nach wenig, doch der Brawler aus der Third-Person-Perspektive ist kein Häppchen für zwischendurch. Dafür sorgt schon die Ernsthaftigkeit, mit der sich seine Macher mit ihrem Thema beschäftigt haben. Die Franzosen, zuvor schon als Entwickler des PvP-Kampfspiels Absolver aufgetreten, haben nicht nur einen (Pariser) Meister der Kung-Fu-Tradition des Pak-Mei-Stils als Berater mit einbezogen, sondern auch zum Teil selbst Kampfsporterfahrung. Dass trotz dieses Respekts für den fernöstlichen Kampfsport und die damit verbundene Philosophie der Blick auf China ein rein westlicher bleibt, ist ein erster Kritikpunkt daran.

Sloclap

Gelungene Inszenierung

In Sachen Präsentation gibt es dafür nichts zu bemängeln: Die simple, aber mit viel Stilgefühl eingesetzte Comic-Grafik ist absolut gelungen, die Animationen und Lichteffekte sorgen für erstaunlichen Realismus. Die detailreich gestalteten und originellen Umgebungen – besonders das Museum des dritten Levels – verbinden sich mit einem außerordentlich gelungenen Soundtrack namhafter chinesischer Underground-Techno-Helden zu einer bemerkenswert dichten Atmosphäre.

Die treibenden, effektvoll eingesetzten Techno-Beats bilden nicht nur im Level 2, einem in Schwarzlicht getauchten Nachtclub, den Rahmen für fast rhythmisch strukturierte Prügeleien. Hin und wieder driftet das Geschehen ins Halluzinogene ab, besonders wenn sich in den schick inszenierten Bosskämpfen die Arenen zu albtraumhaften Fantasieorten verwandeln. Dass die Story dabei eher holzschnittartig bleibt, wird der geneigte Martial-Arts-Fan leicht verschmerzen.

In Sachen Kampf-Spielmechaniken sieht man "Sifu" den erwähnten Praxisbezug seiner Schöpfer jedenfalls an: Hier gibt es keine fantastischen Sprungattacken oder unrealistische Rundumschläge, stattdessen eine eher geradlinige, brachiale und spektakulär in Szene gesetzte Abfolge von Schlägen, Tritten und Nahkampfwaffeneinsatz. Die Flaschen, Baseballschläger, Kampfstäbe und Messer, die gefunden oder Gegnern abgenommen werden, bieten aber nur temporär einen Vorteil, bevor sie unbrauchbar werden. Mehr Verlass ist auf das Repertoire von Attacken, Blocks und Gegenangriffen, die sich im Spielverlauf gegen Erfahrungspunkte freischalten lassen. Neben speziellen Angriffen, die aus der Zeitlupe aktiviert werden, gibt es hier auch neue Fähigkeiten, etwa das effektive Wegkicken von Gegenständen aus der Umgebung oder durchschlagskräftige Kombos.

Nach jedem Ableben wird man älter – eine witzige Idee.
Foto: Sloclap

Memento mori

Wenn die Übermacht der Gegner doch einmal zu groß ist, kommt eine auf jeden Fall zumindest originelle Spielmechanik zum Einsatz: Zum Spielstart ist der Held, die Heldin von "Sifu" 20 Jahre alt, geht er oder sie zu Boden, altert er oder sie beim ersten Mal ein Jahr, beim zweiten Mal zwei und so weiter. Zu den runden Geburtstagen wird dieser Alterungsprozess am Spielermodell sichtbar, vom Jugendlichen zum Erwachsenen bis hin zum weißhaarigen Greis mit über 70 Jahren.

Dabei verliert die Spielfigur zwar an Lebensenergie, gewinnt aber (etwas) an Stärke. Der Knockout über 70 ist dabei zugleich das "Game over" und wirft an den Level-Anfang zurück. Freigeschaltete Hinweise und Shortcuts durch die Spielumgebungen bleiben erhalten, aktivierte Fähigkeiten allerdings nur, wenn sie wiederholt und letztlich zum fünffachen Einkaufspreis erworben wurden – und richtig spielentscheidend sind auch die dauerhaft freigeschalteten Skills nicht.

Viel davon klingt nach Rogue-like-Strenge, das Alterungssystem ist de facto aber nur die Visualisierung eines sehr klassischen begrenzten Continue-Systems, das man in Zeiten von Autosaves und Souls-Lagerfeuern als fast archaisch empfinden mag. Ein sicherer Hafen ist nur das Basislager zwischen den Missionen, doch das zum Level-Ende niedrigste erreichte Alter bleibt zugleich Startalter des folgenden Einsatzes. Sprich: Wer sich nur mühevoll als siebzigjähriger Greis oder Greisin durch den letzten Bosskampf der zweiten Stage gerettet hat, steht mit nur mehr einer einzelnen Möglichkeit zum Continue am Start der dritten.

Da hilft nichts, außer die bereits absolvierten Runden solange zu wiederholen, bis man sie mit akzeptablerem Alter beendet hat. Wer am entscheidenden allerletzten Kampf des ganzen Spiels wiederholt scheitert, kann zur Erhöhung seiner Chancen dann am besten wieder ganz von vorn beginnen und auf Perfektion hoffen.

Auch Waffen dürfen benutzt werden.
Foto: Sloclap

Zu verliebt in die eigene Härte

Ja, Kung-Fu bedeutet "etwas durch harte, geduldige Arbeit Erreichtes", und "Sifu" verlangt seinem Publikum genau diese harte, geduldige Arbeit ab. Der Zwang zur Wiederholung und Perfektionierung des bereits Gelernten, der nebenbei auch den nicht besonders großen Umfang von "Sifu" entscheidend auffettet, wird die Hartnäckigsten erfreuen, die derartige Herausforderungen mit großem Ehrgeiz annehmen; nicht wenigen Spieler*innen wird diese Härte aber wohl den Spaß an diesem ansonsten sehr gelungenen Martial-Arts-Epos verderben.

Wie bei den Souls-Spielen bemerkt man zwar auch hier mit Genugtuung das Wachsen der eigenen Fähigkeiten und wirbelt beim dritten, vierten, fünften Mal mit zuvor nicht erahnter Eleganz und Effizienz durch die Gegnermassen; doch beim sechsten, siebten, achten, neunten und zehnten Mal wird das Niederknüppeln immer desselben Türstehers und das Durchhasten immer derselben Gänge auch an den Nerven des geduldigsten Zen-Mönchs zerren.

Es fehlt die Zufallsgenerierung, die beim Rogue-like-Genre für Abwechslung beim x-ten Neustart sorgt, und auch die Auswahl an unterschiedlichen Strategien zur Überwindung der kniffligen Bosskämpfe ist schmal. Wie "Cuphead" und andere sehr lineare, für ihre Schwierigkeit berüchtigten Spiele ist auch "Sifu" verliebt in seine eigene Härte. Diese Härte beschränkt letztlich seine Zugänglichkeit lasergleich auf ein Publikum, das gewillt ist, die Meisterung dieses Spiels als die oben erwähnte "harte, geduldige Arbeit" anzunehmen. Für alle anderen bekommt "Sifu" – wie sein Held – nach einiger Zeit einen ziemlich langen Bart. Schade. (Rainer Sigl, 12.02.2022)