Julia Garner in der Rolle der Hochstaplerin Anna Sorokin.

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Die "echte" Anna Sorokin beim Prozess 2019 in New York.

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In der Netflix-Serie "Inventing Anna".

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Noch ist nicht näher bekannt, wie Anna Sorokin die Serie "Inventing Anna" gefällt. Gemessen an der Wahrnehmung ihrer eigenen Größe ist sie womöglich enttäuscht. Wahrscheinlich meint sie, nichts und niemand könne ihrer Person gerecht werden. Seit jeher sah sie es so, dass nur das Beste gut genug für sie ist. Aber wer weiß. Für Überraschungen war Anna Sorokin immer schon gut.

Netflix

2019 wurde die damals 28-jährige Deutschrussin von einem New Yorker Gericht zu mindestens vier Jahren Gefängnis verurteilt. Unter dem Namen Anna Delvey täuschte sie die New Yorker Geldelite allein aufgrund ihres Auftretens. Sorokin lebte in Saus und Braus, wenn es ums Zahlen ging, erfand sie Ausreden. Vier Jahre kam sie mit der Tour gut über die Runden, gingen ihr die von ihr Geblendeten auf den Leim.

Letztlich erschwindelte sie rund 275.000 Dollar

Die von ihr erfundene Anna Delvey Foundation sollte eine Kunststiftung und ein elitärer Mitgliederclub nach Art des SoHo House werden. Mit Fortress hatte sie eine New Yorker Investmentgesellschaft an der Angel, die dafür beinahe 28 Millionen Dollar überwiesen hätte. Es kam nicht zustande, letztlich erschwindelte sie sich rund 275.000 US-Dollar.

Für die schillernde Story hat Netflix 320.000 Dollar geboten, die Erfolgsproduzentin Shonda Rhimes damit betraut und "Inventing Anna" daraus gemacht. Sorokin nahm das Geld, glich ihre Rückstände aus – und checkte übrigens nach ihrer Freilassung 2021 sofort im nächsten Fünfsternehotel ein. Inzwischen ist sie wieder in Haft, weil ihr Visum für die USA abgelaufen war.

Aus dem Reich von "Grey's Anatomy" und "Bridgerton"

"Inventing Anna" ist eine Serie aus den Verträgen mit Shonda Rhimes, der Erfinderin von "Grey's Anatomy" und "Bridgerton". Eine gewisse Nähe zu diesen Serienhits dringt am ehesten in den komödiantischen Sequenzen von "Inventing Anna" durch, besonders in der Nebengeschichte der schwangeren Journalistin Vivian, die Sorokin als "großer Story" hinterherjagt, darum in der Redaktion kämpfen muss, unterstützt von einer Garde treuer Kolleginnen und Kollegen, gehindert von verlangsamt denkenden Vorgesetzten und ihrem eigenen körperlichen Zustand.

Anna Sorokin sitzt über den Zeitraum der Serie bereits im Gefängnis und ist Vivians begehrtes Interviewobjekt. Ihre Rechercheergebnisse werden in Rückblenden erzählt, über zwei, manchmal mehrere Ebenen – bis hin zur Kindheit.

Sympathisch ist sie nicht

Verstehen wird man die Hochstaplerin danach trotzdem nicht besser. Dafür bleibt "Inventing Anna" zu sehr bei dramaturgischen Effekten hängen. Julia Garner stattet die Figur reichhaltig aus, von arroganter Bitch, Partylöwin, Heulsuse, Wutschwester bis zur supercleveren Betrügerin ist alles drinnen.

Dass man eine jung Frau auch gut finden kann, die Reich und Schön ausgesprochen blöd dastehen lässt, wird zwar angedeutet, letztlich zu wenig konsequent ausgespielt. Am Ende ist Sorokin in der Serie die Verliererin. Die Sympathien der Zuschauerinnen und Zuschauer hat sie nicht, die sind bei den ehrlichen, getäuschten Freundinnen. Verbrechen zahlt sich nicht aus. Bei der Moral hört sich der Spaß auf.

Wer maßt sich ein Urteil an? "Anna Delvey ist alles, was in Amerika schiefläuft", heißt es an einer Stelle. In der Insta- und Influencer-Gesellschaft gehört Tarnen und Täuschen zur Grundausstattung. Anna Sorokin ist Teil eines Systems. Hochstapeln will gelernt sein. (Doris Priesching, 11.2.2022)

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