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Durch den Druck bildet sich im Schnee ein Film, weshalb Langlaufen quasi ein Wassersport ist.

Foto: AP/Borgia

Team Australien in der Pole-Position: Von ihrem Container aus haben sie einen Blick auf die Zielkurve im Langlaufstadion.

Foto: luza

Solch deutliche Kritik ist im wahrsten Sinne unerhört. Biathlet Felix Leitner monierte nach dem Einzel bei den Olympischen Spielen seine langsamen Skier. Eine "Katastrophe" seien sie gewesen, er wurde 16., trotz nur eines Schießfehlers. Leitner: "Ich mag das nicht alles auf meinen Hut nehmen. Bei fast vier Minuten Laufrückstand brauchen wir nicht mehr über Laufform oder mein Höhentraining diskutieren, da haben wir andere Probleme."

Toni Giger reagierte rasch. Er leitet im ÖSV die Abteilung für Entwicklung, Forschung und Innovation. Leitners Kritik sei "besonders verwunderlich", sagte Giger der APA. Man habe extra einen Ski für die kalten, harten Bedingungen in Zhangjiakou anfertigen lassen. Das österreichische Serviceteam zähle im Biathlon zu den "Topnationen", es leiste "sensationelle Arbeit". Leitner entschuldigte sich einen Tag nach dem Rennen öffentlich im ORF für seine Aussagen. Das war das Ende der öffentlichen Kritik.

Wachseln im Kammerl

Was macht einen Langlaufski schnell? Um das herauszufinden, verbrachte DER STANDARD zwei Stunden im Servicecontainer des australischen Olympia-Langlaufteams. Dort arbeiten Fabi und Toni, zwei Männer aus dem Schwarzwald. Der eine über 40, Lehrer an einer Sportschule, der andere unter 30, Maschinenbauer bei einem Hersteller für Schlitten im Paralanglauf.

Das Kammerl, in dem sie werken, ist vielleicht acht Meter lang und drei Meter breit. Aus Boxen tönt Rockmusik, gerade so harte, dass sie nicht nervt. Seit 13 Jahren tuckert Fabi an Wochenenden in seinem Kleinbus an die Weltcuporte. Für Olympia hat er Toni mitgebracht, beide nahmen sich drei Wochen Urlaub, um dabei zu sein.

Die berühmte Wachskiste, die Ski schnell macht.
Foto: Zahrer Lukas

"Zum Olympiasieg gehört nicht nur ein perfektes Trainingslager, sondern auch ein perfekter Ski", sagt Toni. Das Geheimnis hinter dem perfekten Ski liegt auch in seinem Aufbau. In der Produktion schichtet man Carbon- und Glasfasern übereinander, presst sie zusammen und bäckt sie im Ofen bei 100 bis 120 Grad Celsius. Wichtig ist die sogenannte Vorspannung. Denn: Ein Langlaufski liegt nicht flach auf dem Boden, die Skimitte ist erhöht.

Der Kern, das ist jener Bereich in der Mitte des Skis, auf dem die Bindung montiert ist, ist deutlich dicker als an den Enden. Er besteht meist aus Schaumstoff, aus hartem Styropor. In weichem Schnee machen elastische Skier Sinn, damit sie sich nicht in den Schnee einbohren. Bei harten Bedingungen wie in China greifen Fabi und Toni zu harten, steifen Skiern.

Doch keine Wissenschaft?

15 bis 25 Skier stehen jeder Athletin und jedem Athleten pro Technik zur Verfügung – für Klassisch und Freistil gemeinsam sind es also bis zu 50 Paar Ski. Um die schnellsten Bretter zu finden, analysieren Fabi und Toni Wetter, Temperatur, Luftfeuchtigkeit und picken fünf Paar heraus, mit denen es für Tests auf die Strecke geht, dann bleiben noch zwei über. "Es kommt oft vor, dass wir uns tagelang vorbereiten, und im letzten Moment, ein paar Minuten vor dem Start, entscheiden wir uns um," sagt Fabi.

Es heißt ja immer, das Wachsen sei eine eigene Wissenschaft. Toni aber sagt: "Nee, ist es nicht." Wichtig sei zu akzeptieren, dass man nicht alles im Griff haben kann. Ein fixer Ablauf, ein System muss dennoch sein: Die beiden präparieren zwei idente Paar Ski mit unterschiedlichem Wachs, gehen auf die Loipe, suchen sich eine leichte Steigung. Dann starten zwei Tester parallel zueinander, haken sich mit den Armen ein, bis sie dasselbe Tempo erreichen, und lassen los. Am Ende des K.-o.-Turniers gewinnt der Ski, der jeweils am weitesten rutschte.

Toni bringt mit dem Bügeleisen Wachs auf den Ski auf.
Foto: luza

Wasser abweisen

Toni vergleicht Skiwachs mit einer wasserabweisenden Regenjacke. Der Ski wird imprägniert. Der Belag eines Skis macht nämlich das Gleitverhalten aus. Logisch, es ist ja auch der einzige Bereich, der mit dem Schnee in Kontakt kommt. Der Belag besteht aus Kunststoff, aus Polyethylen. Er hat eine Riffelung, einen Steinschliff, ohne den der Sport nicht so schnell wäre. Schaut man genau hin, lässt sich ein Muster auf der Skiunterseite erkennen. Manche haben einen symmetrischen Schliff, andere sehen aus wie ein Streuselkuchen.

Langlauf ist streng genommen eigentlich kein Schneesport, sondern ein Wassersport. Durch Druck, der laufend auf den Schnee ausgeübt wird, bildet sich ein Wasserfilm. Wäre der Skibelag nun völlig glatt, wäre der Ski sehr langsam. Toni vergleicht es mit zwei Glasscheiben, zwischen denen ein Tropfen Wasser ist: "Das pappt aneinander, und da rutscht überhaupt nix." Der geriffelte Belag hingegen zerschneidet den Wasserfilm, der Ski gleitet. Mit verschiedenen Aufsätzen lassen sich händisch zusätzliche Strukturen in den Belag einarbeiten.

Zurück zum Wachs: Es kommt auf den Belag, wird aber sofort wieder abgeschabt. Der Belag ist wie ein Schwamm, saugt das Wachs auf, es zieht ein und hält bis zu 20 Kilometer. Nicht länger, deshalb werden etwa im 50-Kilometer-Rennen mehrmals die Skier gewechselt. Weil es in Zhangjiakou sehr kalt ist – meist unter minus zehn Grad –, baut sich viel schwerer ein Wasserfilm auf. Aktive sprechen daher oft von stumpfem Schnee, schwierigen Bedingungen, langsamen und harten Rennen.

Ortsabhängige Schneekörner

Fabian tippt seine Erkenntnisse in einen Laptop. Lange hatte er geglaubt, sich eine Datenbank anlegen zu können. Funktioniert habe das aber nicht wirklich. Toni mischt sich ein und sagt: "Fabi, ich finde, eine Dokumentation macht für einzelne Orte Sinn. Das Schneekorn ist mehr ortsabhängig als wetterabhängig." Sie philosophieren über Schneefall in Toblach, das Klima der Nordalpen und die Struktur von Schneekristallen. Auf dem Pekinger Breitengrad gebe es in Europa ja keinen Schnee mehr, sagt Toni. Nachsatz: "Gut, gibt es hier ja auch nicht." Die gesamten Winterspiele von Peking werden auf Kunstschnee ausgetragen. Man merkt: Australien hat hier zwei leidenschaftliche Vollprofis engagiert.

Als kleine Nation seien sie flexibler als andere. Man könne etwa schneller reagieren als die Norweger, aber sich halt auch nicht um alle Details kümmern. Finn betritt den Raum, der Zeitpunkt ist perfekt. Er ist der Cheftrainer – und präpariert plötzlich auch Skier. "Das kommt bei anderen Nationen nicht vor", sagt Fabi, "dass der Chef Hand anlegt."

Fabi und seine Datenbank.
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Australien kooperiert mit dem Team USA. Während Australien aber zwei Vollzeit-Serviceleute hat, arbeiten beim Top-Team Norwegen pro Athlet vier Betreuer, schätzt Fabi. Das Ziel sei, konkurrenzfähig zu sein, und "wenn wir eine Rakete hinbekommen, macht uns das glücklich", sagt Fabian. Das gelinge in etwa fünfmal pro Saison. Für Australien zu arbeiten sei ein "Privileg" und "nicht selbstverständlich".

Dass Athleten wie Felix Leitner das Material kritisieren, kann Fabi nachvollziehen: "Wenn er das Gefühl hat, die Leute fahren ihm um die Ohren, beeinflusst ihn das mental. Das ist berechtigt." Als Servicetechniker will er ungefiltertes Feedback bekommen. Das geringe Tempo könne aber freilich auch technische Gründe haben. Generell aber gilt es Trainings und Rennen zu beobachten, um das Feedback der Athleten einschätzen zu können.

Überschaubarer Austausch

Während Österreichs Olympia-Team im Biathlon Probleme mit dem Material hat, freute sich just Teresa Stadlober am ersten Wettkampftag über sensationelle Skier, die ihr zur Bronzemedaille verholfen haben. Der Austausch zwischen einzelnen Disziplinen sei überschaubar, sagt Fabi und nennt ein Beispiel: "Die deutschen Kombinierer halten sich nicht direkt an die Ergebnisse der Langläufer. Die ticken anders. Alle haben ihr eigenes Verständnis." Ergebnisse zu reproduzieren sei zudem sehr schwierig.

Vom ÖSV heißt es, es gebe ein "spartenübergreifendes System", das alle Athleten eng vernetze. Sechs Serviceleute sind eigens für das Biathlon-Team in China. Am Mittwoch sagte der ÖSV-Sportdirektor Nordisch, Mario Stecher, nach Bronze von Lukas Greiderer fast schon demonstrativ: "Es freut mich besonders für die Serviceleute. Das Material war sensationell. Dahingehend gebührt ihnen ein großes Dankeschön." (Lukas Zahrer aus Zhangjiakou, 11.2.2022)