Denis Ménochet als Fassbinder-Alter Ego in "Peter von Kant" – mit Isabelle Adjani.

Carole Bethuel

Nicht wenige Filme von Rainer Werner Fassbinder kreisen um Figuren, die in Zwickmühlen eingeklemmt sind. Liebe, Abhängigkeit, Unterwerfung und Leidenschaft, auf oft klaustrophobisch engem Raum. Die Auswege sind verstellt, weil der Mensch eben nicht vom Menschen lassen kann. Fassbinder in sozialer Isolation, das geht eigentlich gar nicht.

Ob die Berlinale bei der Auswahl des Eröffnungsfilms von Donnerstagabend auch an diese inhaltlichen Aspekte gedacht hat, ist nicht bekannt. Aber Peter von Kant, in dem François Ozon Fassbinder als arg gebeutelten Liebhaber auferstehen lässt, bildet einen starken Antagonismus zum Festival selbst. Denn rund um den Potsdamer Platz dreht sich gerade alles darum, Kontakte zu minimieren. Keine Menschengruppen, sondern Testbusse und viele Kontrollen: eine Hochsicherheitsübung fürs Kino.

Antiheldin wird ein Kerl

Möglicherweise bündelt das ja die Aufmerksamkeit stärker auf die Filme selbst. Ozon hat in seinem Rückgriff auf eines der erfolgreichsten Frauendramen Fassbinders (Die bitteren Tränen der Petra von Kant, 1972) die Antiheldin in einen Kerl verwandelt. Damit entzaubert er die Fiktion und zugleich wieder nicht: Denn Petra war ja schon ein Alter Ego des Filmemachers, dem es schlüssiger erschien, mit Frauen dem Scheitern an einem Ideal von Liebe nachzuspüren.

Peter ist in der wuchtigen Darstellung von Denis Ménochet also endlich Fassbinder selbst, der seinen stummen, ergebenen "Diener" Karl (Stefan Crepon) wie ein Imperator unwirsch um Champagner anblafft, während er sich mit seiner jüngsten Eroberung, dem Jüngling Amir (Khalil Gharbia), vergnügt. Nur wenige Monate später ist das anfangs so glühende Verhältnis zwischen den beiden wieder erkaltet. Amir weist den um seine Zuneigung bettelnden Peter angewidert ab, weil ihm dieser so unbeherrschte Mann keine Luft zum Atmen lässt. Und Karl sieht einfach nur zu.

Fassbinder-Boutique

Wie das Vorbild bleibt auch Ozons Revision ein Kammerspiel. Für das durchwegs exzellente Ensemble – Isabelle Adjani ist als puppenhafte Diva Fassbinders zu sehen – bleibt viel Raum. Es wird nicht nur gelitten, sondern auch dekadent gefeiert, gekokst und über das Geschäft mit der Kunst geklagt. Ozon geht es burlesker an, er scheint nicht mehr mit der gleichen Vehemenz wie Fassbinder daran zu glauben, dass der Aufruhr der Gefühle etwas Grundsätzliches über den Menschen verrät.

Also schleppt das Melodram seine heimliche Geliebte, die Komödie, mit in den Raum. Die mit schönen Retroobjekten ausgestattete Wohnung gleicht einer Fassbinder-Boutique, in der man schillernde Hemden anprobieren kann und sich Gin Tonics hinter die Binde kippt. In alten Schlagern klingen frei nach Oscar Wilde die passenden Refrains dazu an: "Jeder tötet, was er liebt." Die Tränen des Peter von Kant schmecken ein wenig süßer. (Dominik Kamalzadeh aus Berlin, 11.2.2022)