Wien – In den USA zeichnet sich eine rasche Zinswende ab, und in Europa gerät die Europäische Zentralbank (EZB) wegen kontinuierlich steigender Inflation unter Druck. Bedeutet das Ende des billigen Geldes auch das Ende des Höhenflugs für Start-up-Investments? Vergangenes Jahr purzelten die Rekorde nach der Reihe, das heurige begann mit 300 Millionen Euro für die Online-Nachhilfeplattform Go Student. Kann es so weitergehen?

Unter Investorinnen und Investoren nimmt die Zuversicht ab, wie aus der aktuellen Umfrage European Venture Sentiment Index (EVSI) vom österreichischen Risikokapitalgeber Venionaire Capital hervorgeht. Dafür werden vierteljährig Business-Angels, Investoren und Family-Offices in ganz Europa befragt.

"Es gibt viele große Transaktionen und mittlerweile 150 Unicorn-Bewertungen in Europa", sagt Venionaire-Gründer Berthold Baurek-Karlic im Gespräch mit dem STANDARD. Zur Erinnerung: Als Unicorns werden Start-ups bezeichnet, die mit mehr als einer Milliarde Dollar bewertet sind. "Führende Investoren beginnen sich aber zu fragen, ob dies dem billigen Geld geschuldet ist und ob die Qualität der heutigen Einhörner noch mit jener der Vorjahre vergleichbar ist", meint Baurek-Karlic.

Vergangenes Jahr schossen die Einhörner in Europa fast wie Schwammerln aus dem Boden. Die aktuelle Situation am Kapitalmarkt könnte der Entwicklung einen Dämpfer geben.
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Pessimismus

Leicht latenten Pessimismus gibt es laut ESVI schon länger, Realität wurde dieser aber noch nicht. Die jüngste Befragung vom vierten Quartal 2021 zeigt eine deutliche Diskrepanz zwischen Status quo und Erwartung – ebenso wie in den beiden Quartalen davor. Diese vorsichtige Haltung deutet darauf hin, dass man eher früher als später mit einem Einbruch rechnet.

Für Baurek-Karlic sind einige Bewertungen "definitiv überhöht, aber momentan kommen sie noch damit durch". Als Blase würde er die aktuelle Situation nicht bezeichnen, er rechnet jedoch mit Kurskorrekturen im Lauf des Jahres. Das sei ein gesunder Weg in Richtung Normalität.

Bernhard Lehner ist Vorstand der Linzer Start-up-Netzwerks Startup300 und sieht das anders: "Man muss die Dynamiken von Kapitalmarkt und Investments differenziert betrachten. Viele Fonds haben vergangenes Jahr Milliarden gesammelt, das Geld ist da und muss in den Markt." Das gehe bestimmt noch drei Jahre, danach könne es vielleicht krachen. "Aber wer weiß, was der Kapitalmarkt bis dahin macht." Dass die vielen hohen Investments und Bewertungen auf das billige Geld zurückzuführen sind, sieht Lehner nicht so.

Die größten Start-up-Investments in Österreich 2021.

Auch Speedinvest-Chef Oliver Holle erkennt diesbezüglich keinen Zusammenhang. Die Teams sowie Investorenstruktur würden immer professioneller und die Geschäftsmodelle stabiler – das erleichtere die Beurteilung. Wegen der Zinswende erwartet er maximal einen kurzen Dämpfer: "Europa ist immer noch in einer Aufholposition zu den USA und China, wir stehen da erst am Anfang. Seit Jahren gibt es eine Umschichtung großer Kapitalmengen in Richtung Tech und Private Equity. Dieser Megatrend mag vielleicht eine kurze Pause einnehmen, wenn die Börsenlage sich verschlechtert, ist aber nicht aufzuhalten."

Österreich rückte vergangenes Jahr nach mehreren Finanzierungsrunden im dreistelligen Millionenbereich für Bitpanda, Go Student oder Adverity mehr in den Fokus globaler Geldgeber. Plötzlich fließt Geld von den ganz Großen wie Softbank (Japan) und Tiger Global (USA) in heimische Firmen. Grosso modo freut das alle. Es hat aber auch eine Folge, bei der sich Baurek-Karlic, Lehner einig sind: Für europäische Business-Angels wird es immer schwieriger.

Geld von außen

"Es gibt viel Potenzial und zu wenig Kapital", meint etwa Baurek-Karlic. Der Wettbewerb um die besten Firmen nehme zu, und ein Start-up, das skalieren möchte, tendiert zu jemandem, der eine Wachstumsfinanzierung stemmen könne.

Holle sieht das pragmatisch: "Finanzierungsrunden mit über 100 Millionen Euro waren immer global strukturiert, das wird sich nicht ändern. Österreichische Investoren müssen den Anspruch haben, in der Anfangsphase zu helfen, das ist anspruchsvoll genug und birgt enorme Renditen."

Anfangsphase

Wachstumsfinanzierungen sind kein heimisches Metier. Laut einer aktuellen Studie des Unternehmensberaters EY stammen mehr als 75 Prozent des Risikokapitals von rein ausländischen Investorengruppen. Österreichische treten vor allem bei Start- und frühphasigen Finanzierungen auf den Plan.

Die Abhängigkeit von Geld aus dem nicht EU-Raum ist auch in der Politik angekommen. Deutschland und Frankreich haben einen zehn Milliarden Euro schweren Fonds initiiert, der Tech-Firmen einen Schub geben soll. Österreich zieht auch mit. Zehn Milliarden sind nicht übertrieben viel, wenn man es in Relation setzt: Allein in Österreich flossen laut EY vergangenes Jahr fast 1,3 Milliarden. Doch in der Szene sieht man es als einen Anfang.(Andreas Danzer, 11.2.2022)