Zu sagen, Andreas Jaritz hat sich wenig vorgenommen, wäre eine Untertreibung. Im beschaulichen Ort Hieflau im obersteirischen Nationalpark Gesäuse lässt er gerade ein ganzes Dorf für die mobile digitale Arbeitswelt der Zukunft bauen. An der Steirischen Eisenstraße inmitten atemberaubender Berglandschaften entsteht ein Haupthaus mit Coworking-Space, Gemeinschaftsküche und Lounges. Übernachtet wird in umliegenden Tiny Houses und Mini-Studios. Im Frühsommer 2022 will das Start-up Emma Wanderer dort den Campus Austrian Alps eröffnen – und sucht bereits nach weiteren interessierten Gemeinden für Standorte zum Arbeiten in der Natur.

Jaritz war bereits vor mehr als 13 Jahren als digitaler Nomade unterwegs, als er eine Surfer-Doku für das Kino aus einem Van heraus produzierte. "Damals hätten wir gerne eine Homebase wie unsere Campusse gehabt", sagt er rückblickend. Später arbeitete er in einem Technologieunternehmen in San Francisco. Während des Corona-Lockdowns, als viele auf Homeoffice und Remote Work umstellten, hatte er schließlich die Idee für Emma Wanderer. "Mir war schnell klar: Das wird jetzt Mainstream", sagt er.

Das Start-up Emma Wanderer will in ganz Europa Coworking-Hubs für das neue Arbeiten auf dem Land bauen.
Foto: Emma Wanderer

Coworking in der Natur

Mainstream sind hippe Coworking-Spaces in Städten schon lange, auf dem Land musste man sie bisher noch suchen. Doch seit mit Corona Arbeit für viele so flexibel wie nie wurde, könnte die gewonnene Freiheit Arbeitende in Scharen aufs Land treiben. Zu diesem Schluss kommt zumindest eine Studie, die die Bertelsmann-Stiftung zusammen mit der Genossenschaft Coworkland durchgeführt hat. Das "Allein-zusammen-Arbeiten", das in Städten schon längst gang und gäbe ist, könnte nun auch auf dem Land Standard werden.

Tobias Kremkau ist als Berater für Coworkland tätig und zieht gerade selbst mit seiner jungen Familie vom pulsierenden Berlin ins beschauliche Städtchen Stendal in Sachsen-Anhalt. Mit diesem Wunsch ist er nicht allein. Das Bedürfnis, die Stadt zu verlassen, nimmt laut der Studie stetig weiter zu. "Ich finde Coworking auf dem Land beinahe noch sinnvoller als in der Stadt", sagt Kremkau. Die geteilten Arbeitsplätze auf dem Land würden Menschen das Arbeiten erlauben, für die das sonst vielleicht kaum möglich wäre. Einige Coworking-Spaces auf dem Land bieten etwa bereits Kinderbetreuung an oder kooperieren mit Kitas in der Nachbarschaft, um Beruf und Familie besser vereinen zu können. Außerdem entfällt das Pendeln in die Stadt, was Umwelt schont und Lebenszeit spart.

Arbeit, die wie Urlaub ist

Die Genossenschaft unterstützt bereits in Deutschland Gründer und Betreiber von Coworking-Spaces auf dem Land. Mit einem neuen Büro in Oberösterreich will Coworkland nun auch in Österreich ein Netzwerk für das neue Arbeiten auf dem Land schaffen.

Und es tut sich was: In Österreich entstehen gerade vielerorts kleine und größere ländliche Coworking-Spaces in ehemaligen Bankfilialen, Gasthöfen oder Schulen. In Dornbirn gibt es mit dem Campus V ein besonders ambitioniertes Projekt. Hier sollen die Sägehallen neu bespielt werden, die bis in die 70er-Jahre von der größten Buntweberei Österreichs genutzt wurden. Auf 12.000 Quadratmetern soll hier ein Ort der Innovation und Begegnung für Kreativschaffende entstehen.

Nicht Berlin, sondern Dornbirn: In den ehemaligen Sägenhallen wird nicht nur gemeinsam gearbeitet, sondern auch gegessen.
Foto: Angela Lamprecht

Das Konzept zur Nachnutzung sieht Räume für Coworking, Pioniere, Kreative, Studierende, Ateliers, Werkstätten und nachhaltige Läden vor. Der Campus V orientiert sich dabei an Projekten wie der Tabakfabrik in Linz und dem Impact Hub Zürich, die sich als erfolgreiche Kreativ-Hotspots positioniert haben. "Kreative sind der Rohstoff der Zukunft", ist sich Bettina Steindl von Campus V sicher. Ihr Ziel: Dornbirn zu einem Standort mit internationaler Strahlkraft entwickeln und Vorarlberg auf die europäische Landkarte bringen.

Die Hosts sind essenziell

Digitale Nomaden leben den Work-from-anywhere-Lifestyle schon lange, nun ist er für fast jeden möglich. Flexibles Arbeiten und Coworking können nicht nur am Wohnort, sondern überall stattfinden. Sogenannte Workations – ein Kofferwort aus work und vacation – sind daher stark im Kommen. Dabei geht es weniger um Arbeiten im Urlaub, sondern um Arbeit, die sich wie Urlaub anfühlt. Die Dauer kann dabei zwischen einem verlängerten Wochenende bis zu mehreren Monaten, beispielsweise während der Elternzeit, variieren.

In touristischen Regionen in Asien gibt es inzwischen zahlreiche Angebote für Menschen, die den Aufenthalt an schönen Orten mit mobiler Arbeit verbinden wollen. In Österreich sind Möglichkeiten für Workations sowie Coworking und Coliving noch selten. Julia Scharting arbeitet bei der Standortagentur Tirol und ist im Vorstand des Netzwerkes Coworkation Alps. Sie ist sich sicher, dass der Alpenraum eine wichtige Destination für Workations werden wird. Die Schönheit der Berge, Sportmöglichkeiten im Winter und im Sommer und die Nähe der Natur sind Pluspunkte, die das Land für Workations sehr attraktiv machen würden. Scharting erhält zurzeit viele Anfragen von Gemeinden oder Hoteliers, die neue Konzepte für Remote-Arbeiter entwickeln wollen. "Viele stellen sich das leichter vor, als es ist", sagt sie. "Die Immobilie ist nur so etwas wie die Hardware. Der Host, ein Kümmerer, ist ebenso wichtig für den Erfolg."

Sehnsucht nach Analogem

Patrick Sellier ist ein solcher Host. Ihm gehört die Tauglerei in St. Koloman im Salzburger Land. Der Münchner zog vor einigen Jahren in den kleinen Bergort und übernahm das ehemalige, renovierungsbedürftige Dorfgasthaus. Seit dem Umbau gibt es in dem 400 Jahre alten Gebäude ein Café, einen Coworking-Space, einen Yoga-Raum, Gemeinschafts- und Besprechungsräume sowie mehrere Ferienwohnungen. Im Café der Tauglerei kommen Spitzenmanager auf Workation mit Landwirten aus der Nachbarschaft ins Gespräch – das erweitert die Horizonte auf beiden Seiten. "Man muss schon eine Leidenschaft dafür haben, sonst wird man als Host nicht glücklich", sagt Sellier. In München war Sellier als Verleger erfolgreich. Sein neues Leben als Host bedeutete für ihn eine große Umstellung. Die Workation-Gäste der Tauglerei profitieren allerdings von seinen Erfahrungen, inzwischen wurden mehrere Start-ups erfolgreich in der Tauglerei gegründet.

Der Mesnerhof-C in Tirol will eine der ersten Adressen für New Work auf dem Land sein.
Foto: Georg Gasteiger

Home- und Remote-Arbeit haben aber auch ihre Grenzen. Menschen brauchen persönliche Begegnungen. Unternehmen mit flexiblen Arbeitsmodellen führen daher regelmäßig sogenannte In-Person-Offsites zum Teambuilding durch, was pandemiebedingt allerdings zurzeit nur eingeschränkt möglich ist. Darunter leiden nicht nur remote arbeitende Mitarbeiter, sondern auch Locations, die auf solche Events ausgerichtet sind.

"Normalerweise sind wir zwei Jahre im Voraus ausgebucht", sagt Georg Gasteiger vom Mesnerhof-Cin Tirol, der als eine der ersten Adressen für Neues Arbeiten auf dem Land gilt. In dem 400 Jahre alten Hofensemble führen Unternehmen wie Adidas und Google ihre Community-Retreats durch. Gasteiger baute den im Familienbesitz befindlichen Messnerhof, der bereits zu zerfallen drohte, 2015 zu einem Community-Retreat um.

Für die Zukunft sieht Gasteiger ein zunehmendes Bedürfnis nach analogen Erlebnissen. "Wer den ganzen Tag in digitalen Welten unterwegs ist, will auch mal was mit den Händen machen", sagt er. Die Brotbackkurse des Mesnerhof-C werden von Technologieunternehmen etwa besonders gerne gebucht. (Claudia Rinke, 13.2.2022)