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Die Medienexpertin Emily Bell sieht die Mainstream-Medien in einer "Vertrauenskrise".

Foto: Reuters/HANNAH MCKAY

New York/Wien – Die BBC muss neue Wege der Finanzierung finden. Mit der Ankündigung der britischen Regierung, Beiträge und Subventionen zu streichen, sei die schon länger dauernde Debatte neu entflammt, sagte die Medienexpertin Emily Bell am Donnerstagabend in einem Online-Gespräch mit dem Presseclub Concordia. Bell sieht die Mainstream-Medien in einer "Vertrauenskrise".

Die Britin, Professorin an der New Yorker Columbia University, früher langjährige Journalistin bei der Tageszeitung "Guardian", sprach am Donnerstagabend von einem "Konsens", dass unter den aktuellen Gegebenheiten die Gebühren nicht mehr so eingehoben werden könnten wie bisher. Die BBC stehe unter Veränderungsdruck. In den kommenden zehn, zwanzig Jahren sei mit einem "radikalen Wandel" zu rechnen. Ein Schrumpfungsprozess – bisher um circa 30 Prozent – sei im Gange.

Bell hat die British Broadcasting Corporation in Studien genau analysiert. "Die BBC ist weiterhin einzigartig, genießt Ansehen in der Branche." Das Unternehmen arbeite mit exzellenten Journalisten und sei global aufgestellt. Doch habe es in der Berichterstattung auch einiges verabsäumt. Beispiel Brexit: Die britischen Bürger hätten in der BBC "ein politisches Instrument" erkannt, viele fühlten sich in der Materie nicht gut genug informiert.

Objektivität sei der BBC immer sehr wichtig gewesen. "Doch mit den neuen Medien relativiert sich das", resümierte die Expertin für digitalen Journalismus. "Der politische Druck ist spürbar." Generell sei der Druck auf die Mainstream-Medien und auf die Journalisten stärker geworden. Die sozialen Medien reagieren schnell, publizieren Meinungen auch ohne "public service mission" und könnten Inhalte ohne entsprechende Aufbereitung transportieren.

Die sozialen Medien agierten mit einem anderen Narrativ. Sie sprechen auch populistische Interessen an, analysierte Bell. In diesem Kontext verwies die Medienexpertin auf den US-Fernsehsender Fox News. Mit dieser Entwicklung gehe eine "Vertrauenskrise in die Mainstream-Medien" einher. Der Markt sei "extremer" geworden. Eine Rolle spiele auch die Covid-Pandemie. Die Zahl der Kommentare von Politikern sei stark gestiegen. Ein Teil der Bevölkerung hege Zweifel an Aussagen der Wissenschafter.

Zur Situation der britischen Medienlandschaft führte Bell noch einen weiteren Aspekt ins Treffen. Der Medienmogul Rupert Murdoch sei seit langer Zeit gegen die BBC aktiv aufgetreten. 1989 übernahm der Australier in Großbritannien den Sky Channel und baute in der Folge seine Medienpräsenz in Großbritannien und in den USA systematisch aus.

Aus demografischer Sicht ist die BBC mit einem weiteren Problem konfrontiert. Nach den Worten Bells haben ältere Menschen häufig eine enge Bindung zur BBC. Doch die jüngere Generation, die oft gar nicht mehr mit dem Fernsehen aufgewachsen sei, konzentriere sich auf Streaming und Computer. Es stelle sich die Frage, wie man die jungen Menschen an die BBC heranführen könne. Bell dazu: Die BBC sollte "die Tore für neue Produktionsformen öffnen".

Auch wegen "unzureichender Fokussierung" auf die Zuhörer und Zuseher habe die BBC ein Problem, so die britische Medienexpertin. Streaming sei ein ganz anderes Modell. "Die BBC soll das tun, was sie am besten kann", meinte Bell. Doch ein öffentliches TV dürfe auch populäre Themen aufgreifen. Eine der Stärken der BBC liege darin, dass sie den ganzen englischen Sprachraum erreiche. Jedenfalls solle sie "über andere Finanzierungsformen nachdenken".

Resümee Bells: Für die Zukunft stelle sich die Frage, wie staatliche Medien mit anderen Nachrichtendiensten kooperieren können – in einer "Zeit neuer Geschäftsmodelle" mit neuen Herausforderungen. Ein Modell kenne man in den USA, wo Lobbyisten, Geldgeber, Thinktanks mitspielten. Es frage sich, welche Art der Regulierung ein demokratisches System brauche. Die starke Privatisierung im Mediensektor ist für Bell "beunruhigend, doch nicht zu verhindern". Generell sei journalistische Arbeit schwieriger geworden. Der europäische Markt erlebe jetzt Zustände, die die USA schon lange kennen. (APA, 11.2.2022)