Einer der Entdecker des Aidserregers HIV, Luc Montagnier, ist tot. Der französische Nobelpreisträger starb am Dienstag im Alter von 89 Jahren, wie das Wissenschaftsministerium in Paris mitteilte. Montagnier erhielt den Nobelpreis 2008 zusammen mit seiner Kollegin Françoise Barré-Sinoussi. Beide hatten am Institut Pasteur in Paris das Immunschwächevirus Anfang der 1980er-Jahre in Proben von schwer kranken Patienten isoliert.

Der französische Nobelpreisträger Luc Montagnier starb am Dienstag in Neuilly-sur-Seine, einem Vorort von Paris.
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Wissenschaftskrimi

Die Entdeckung des Aids auslösenden HI-Virus geriet auf weiten Strecken zum Wissenschafts-Krimi: Am 5. Juni 1981 erscheint ein zwei Seiten langer Fachartikel von Michael Gottlieb von der Universität von Kalifornien in Los Angeles. Darin werden die Fälle fünf junger Männer beschrieben, die an einer extrem seltenen Form der Lungenentzündung litten. Zwei der Patienten sind beim Erscheinen des Reports bereits tot. Noch weiß niemand, dass ein lebensgefährliches Virus die Ursache ist. Dennoch gilt der Artikel im "Morbidity and Mortality Weekly Report" (Bd. 30, S. 1) in der Wissenschaft als erster Bericht über die bis heute unheilbare Immunschwäche.

Binnen 18 Monaten beschreiben die Epidemiologen alle wichtigen Risikofaktoren von Aids und prägen zugleich dessen Namen – wörtlich übersetzt das erworbene Immunschwächesyndrom (Acquired Immune Deficiency Syndrome). Bis zum 15. Dezember 1982 liegen der CDC schon 593 Fälle vor – 243 Patienten (41 Prozent) sind gestorben. 41 weitere Berichte stammen aus zehn weiteren Ländern. 75 Prozent der Fälle treffen zunächst homo- oder bisexuelle Männer.

Hinweise auf Übertragungswege

1982 kommt auch der erste wesentliche Hinweis, dass es sich keineswegs um eine "Gay Related Immune Deficiency" handelt, wie die die Erkrankung bisweilen von der US-Presse bezeichnet wird: Aids tritt auch gehäuft bei Blutern auf, die Blutprodukte erhalten haben und keine anderen zu jener Zeit vermuteten Risikofaktoren aufweisen. Wenig später zeigt sich Aids auch bei Empfängern von Bluttransfusionen sowie bei Drogenabhängigen, die ihre Injektionsnadeln gemeinsam benutzen.

Im Dezember 1982 beschreiben die Experten vier Aidsfälle, bei denen im Labor Probleme mit den T-Lymphozyten (weiße Blutzellen) nachgewiesen wurden. Heute ist bekannt, dass das Aidsvirus die CD4+- Zellen angreift – jene Abteilung des Immunsystems, die die Antwort des Körpers auf eingedrungene Krankheitserreger koordiniert. Damals wie heute sterben die Menschen an den sogenannten opportunistischen Infektionen, die sich im ungeschützten Körper verbreiten.

Ende 1982 sind weltweit Viren-Laboratorien auf der Suche nach der Ursache für Aids – auch eine Arbeitsgruppe am Pariser Pasteur-Institut unter der Leitung von Francoise Barre-Sinoussi und Luc Montagnier. 1983 isolierten sie in Lymphknoten-Zellen betroffener Patienten ein Virus, das sich später als HIV herausstellen sollte. Sie schickten ihrem US-Kollegen Robert Gallo Virus-Proben. Am 20. Mai 1983 erschienen die Studien der beiden Gruppen gleichzeitig im US-Fachjournal "Science" (Bd. 220, S. 868 und S. 865).

Jahrelanger Streit

Überschattet waren diese wissenschaftlichen Erfolge und damit auch der Nobelpreis von einem nun folgenden jahrelangen Streit zwischen Montagnier und dem US-Virologen um die Entdeckung der HI-Viren und um das Patent für den ersten Aids-Test. 1994 einigten sich Frankreich und die USA auf eine Neuverteilung der Lizenzgebühren zugunsten der französischen Seite. Die US-Seite anerkannte, dass das HI-Virus, das die Grundlage für die Entwicklung der Aids-Tests in den USA bildete, 1983 vom Pasteur-Institut geschickt worden sei, und zwar ausschließlich zu Forschungszwecken, nicht aber für kommerzielle Zwecke.

Offenbar folgte das Nobelkomitee in Stockholm dieser Argumentation, als sie 2008 den Nobelpreis für Medizin an Barre-Sinoussi und Montagnier vergab. Die Entscheidung zuungunsten von Gallo sorgte auch in Fachkreisen für Überraschung und Irritationen. Gallo habe wichtige Grundlagenarbeit und überhaupt das Instrumentarium zur Erforschung sogenannter humaner Retroviren geschaffen, heißt es. In seinen letzten Jahren machte Montagnier mit in der Wissenschaft umstrittenen Thesen zu AIDS und Covid-19 von sich reden, die seinen früheren Ruf etwas ramponierte. (red, APA, 11.2.2022)