Es ist so weit, im März erscheint tatsächlich "Tutto Napoli – der Geschmack der Stadt", das Neapel-Koch- und Fotobuch, das ich gemeinsam mit Peter Mayr und Maria Fuchs gemacht habe. Um das schon einmal vorab zu feiern und weil das Wetter ebenfalls gerade danach verlangt, habe ich wieder einmal einen Topf neapolitanisches Ragù aufgesetzt.

Wer in Neapel das erste Mal Ragù serviert bekommt, ist mitunter ein wenig enttäuscht, weil dem Namen zum Trotz oft kein Fleisch am Teller liegt, sondern nur Pasta mit rotem Sugo. Was aber aussieht wie eine unschuldige Tomatensauce (wenn auch verdächtig dunkel), entpuppt sich beim ersten Bissen als wuchtige Aromabombe.

Für napolitanisches Ragù werden große Stücke Fleisch und Fett sowie Sehnen von verschiedensten Tieren so lange in Tomatensauce geschmurgelt, bis sie den Großteil ihres Geschmacks an die Sauce abgegeben haben.

Langsames Blubbern

Die wichtigste Zutat dabei ist Zeit: Je länger die Sauce köcheln darf, desto intensiver, dichter ist das Aroma. Vier Stunden Schmurgeldauer gilt als absolutes Minimum. Es war deswegen einst auch als Sauce der Portiere bekannt, weil nur diese genug Zeit hatten, um einen blubbernden Topf den ganzen Tag zu überwachen und zu rühren. Im Neapolitanischen gibt es sogar ein eigenes Wort, das das langsame Blubbern einer solchen Sauce beschreibt: das wunderbare "pappoliare" klingt genau wie das, was es beschreibt.

Besonders schön kann man den Faktor Zeit im Sud studieren, einem Michelin-besternten Restaurant etwas außerhalb Neapels: Dort bekommen Gäste als Gruß aus der Küche einen Teller mit drei Ragùs, die alle unterschiedlich lange köcheln durften, damit sie selbst erschmecken können, wie sich fruchtige Frische mit der Zeit in geschmackliche Urgewalt wandelt.

DER STANDARD

Das Fleisch selbst wird immer noch oft in guter, alter Arme-Leute-Küchentradition als eigener Gang serviert oder in groben Brocken auf die Pasta gelegt. Ich mag es allerdings am liebsten in mundgerechte Stücke geschnitten und unter die cremige Sauce gemischt.

Ragù bildet mit La Genovese und Pasta e Patate die heilige Nudel-Dreifaltigkeit der Stadt und ist für viele der Inbegriff sonntäglichen Wohlfühlessens (siehe Fußnote). Jede Mamma hat ihr eigenes Ragù-Rezept: Bei manchen kommt nur Schwein, bei anderen nur Kalb, bei wieder anderen kommen bis zu vier verschiedene Tiere bis hin zu Ziege und Büffel in den Topf.

Foto: Tobias Müller

Manche verwenden gar keine Gewürze, manche Basilikum, manche Rosmarin und Oregano. Gern werden zusätzlich auch Abschnitte von Wurst und Schinken verwendet, die es in der Fleischhauerei in kleinen Plastikbeuteln für wenig Geld zu kaufen gibt, oder Würste, die kurz vorm Fertigwerden in der Sauce gegart werden.

Das folgende Rezept ist eine recht puristische Variante, die auf eine Mischung aus Kalb und Schwein setzt. Es orientiert sich an jenem, das mir die Mutter von Angelo de Caro, eines lieben neapolitanischen Freundes, beschrieben hat. Weil sie es gar so schön erzählt hat, hier das Original-Soundfile .

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Für den Extrakick habe ich noch geräucherte Schweinsohren und Rindersehnen mitgekocht, die es in Wien bei den wunderbaren Ringls als Hundefutter zu kaufen gibt. Ich hoffe, Signora de Caro erfährt es nie.

Ich persönlich liebe es, noch kleingehackten Scamorza hineinzumischen und es über Rigatoni zu servieren. Als ich das Angelo erzählt habe, war er entsetzt. "Ragù ist eine fette Sauce", hat er gesagt, wenn du da Scamorza reingibst, kannst du wen umbringen." Allen seinen Einwänden zum Trotz ist das Ergebnis aber ganz köstlich und steht in einem meiner neapolitanischen Lieblingslokale, dem "E pronto o mangia" als "Rigatoni alla Mama" auf der Karte. Einziger Wermutstropfen: Das Putzen der Pastapfanne nachher braucht eine liebende, geduldig scheuernde Hand.

Beide Rezepte sind dann auch ähnlich im Neapelbuch enthalten. Hier kann es schon mal vorbestellt werden.

Ragù, ungefähr nach dem Rezept von Angelos Mutter

(reichlich genug für vier)

  • Reichlich Olivenöl oder Schweineschmalz
  • Je 200 g Kalbswade (Wadschunken) oder Ossobucco, Kalbsnacken, Schweinsstelze ohne Knochen und Sehnen vom Kalb, alles grob gewürfelt
  • Ein getrocknetes geräuchertes Schweinsohr und eine Packung getrocknete geräucherte Rindersehnen, optional
  • ½ Zwiebel, 1 kleine Karotte, 1 Stange Sellerie, alles fein geschnitten oder in der Küchenmaschine gehäckselt
  • Etwa ½ Flasche Rotwein (der Rest ist für den Koch/die Köchin)
  • 1 Liter Tomatensauce oder Dosentomaten (Wenn grad
  • Sommer ist, können Sie natürlich auch frische Tomaten kleinschneiden oder in den Topf passieren. Nehmen Sie dann etwa 1 kg.)
  • 3 EL Tomatenmark
  • Pfeffer, frisch gemahlen
  • 500 g dicke Pasta, etwa Ziti, Rigatoni oder, ganz klassisch, Mafaldine (eine Art breite Pappardelle mit gezacktem Rand)

In einem Topf Olivenöl oder Schmalz erhitzen und das Fleisch auf allen Seiten anbraten, bis es ordentlich Farbe genommen hat. Herausnehmen und für später zur Seite stellen.

Foto: Tobias Müller

Im selben Topf und Fett die Zwiebeln, Karotten und Sellerie anlaufen lassen. Mit Rotwein ablöschen, kurz einkochen und dann die Tomaten und das Tomatenmark zugeben.

Foto: Tobias Müller

Gut durchrühren, Fleisch zugeben und mit Salz, Pfeffer und Chiliflocken würzen. Auf ganz niedriger Hitze unter regelmäßigem Rühren mindestens zweieinhalb Stunden, gern auch etwas länger, köcheln lassen. Achtung: Die Sauce brennt gegen Ende der Kochzeit leicht an!

Foto: Tobias Müller

Nicht neapolitanisch, aber deutlich stressfreier ist es, die Sauce bei 160 Grad offen vier, fünf Stunden im Backrohr ziehen zu lassen. Entscheiden Sie selbst, wie viel Aufmerksamkeit Ihnen Authentizität wert ist.

Fleisch vorsichtig aus der Sauce heben. Pasta in Salzwasser al dente kochen. Mit dem Ragù mischen und in vorgewärmten Tellern entweder mit oder ohne geschmortem Fleisch servieren.

Foto: Tobias Müller

Rigatoni alla Mama

  • 1 Portion Ragù (siehe oben) ohne Fleisch
  • 1 Provola, etwa 200 g, in kleine Würfel geschnitten
  • 500 g Rigatoni oder andere dicke, kurze Pasta

Die Pasta in reichlich Salzwasser nach Packungsangabe al dente kochen.

In einer Pfanne das Ragù zum Köcheln bringen, einen Schuss Pastakochwasser zugießen, ein, zwei Minuten verdampfen lassen und wiederholen, bis das Ragù die gewünschte Konsistenz und Bindung hat.

Pasta abgießen (eine Tasse Kochwasser aufheben) und gemeinsam mit Provola zum Ragù geben. Durchmischen und eventuell mit etwas Pastakochwasser auf die gewünschte Konsistenz bringen.

Foto: Tobias Müller

In vorgewärmten Tellern heiß servieren.

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Fußnote: Im Unterschied zu la Genovese oder Pasta e Patate hat es das Ragù zu Weltruhm gebracht – weil es mit den zahleichen neapolitanischen Auswanderern mit in die USA gegangen ist. Dort wurde es dann als Sunday Gravy legendär.

(Tobias Müller, 13.2.2022)