Zu behaupten, dass die an Tiranas Prachtboulevard Bulevardi Dëshmorët e Kombit gelegene "Pyramide" dort stolz aufrage, würde ein falsches Bild vermitteln. Eher wirkt es, als wolle sich der eigenwillige Betonbau, der ursprünglich dem verstorbenen Diktator Enver Hoxha huldigen sollte, zwischen den Regierungsgebäuden an der Hauptstraße im Zentrum der albanischen Metropole verstecken. Ohne Erfolg – das heute desolat erscheinende Gebäude sticht im Vergleich zum nahen und jüngst aufwendig modernisierten Skanderbeg-Platz unangenehm ins Auge.

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Die "Pyramide" sollte eigentlich stolzes Wahrzeichen Tiranas sein – tatsächlich steht sie symbolisch im Kontrast zu den europäischen Bemühungen der albanischen Hauptstadt.
Foto: AP Photo/Hektor Pustina

Und dennoch: Schon bald soll dieser Schatten der Vergangenheit zum Symbol für Tiranas aufstrebende Jugend werden – das Gebäude werde nun restauriert und umgestaltet. Cafés, Werkstätten und Ateliers sollen hier Platz finden, erzählt Klajdi Priska. Er gehört zu jenen Initiatoren, die Tirana zur "Europäischen Jugendhauptstadt 2022" machten. Er koordiniert die Programmpunkte zu Wirtschaft und Innovation. Auch für das Jahr als "European Youth Capital" soll die Pyramide genutzt werden.

Noch sieht es allerdings nicht danach aus, als wären die Bauarbeiten an dem heruntergekommenen Monumentalbau bereits in vollem Gange. Ob sich das wirklich noch ausgehe im laufenden Jahr 2022? "Wir rechnen mit einer Fertigstellung im Herbst", meint Priska vorsichtig optimistisch.

Ambitionierte Pläne, prominente Besucherin

So ambitioniert wie die Umbaupläne für Tiranas ungeliebtes Wahrzeichen klingen die Pläne für das Jahr als "European Youth Capital". Tausend Veranstaltungen sollen stattfinden, tausende junge Menschen würden nur deshalb in diesem Jahr nach Tirana reisen, ist sich der 23-Jährige sicher.

Österreichisch-albanisches Shakehands: Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm traf in Tirana die albanische Ministerin für Jugend und Kinder, Bora Muzhaqi.
Foto: Bundeskanzleramt / Arno Melicharek

Eine der ersten dieser Besucherinnen war dieser Tage Österreichs Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP). Sie traf unter anderen Jugendministerin Bora Muzhaqi. Seit September ist sie in der neuen Regierung des sozialistischen Langzeit-Regierungschefs Edi Rama für die Jüngsten im Land zuständig.

Die 31-jährige verkörpert eine neue Generation von Albanerinnen und Albaner, die sich vor allem ein Ziel gesetzt haben: dem Braindrain – der Abwanderung gebildeter junger Menschen aus ihrem Heimatland – entgegenzuwirken. Laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) spielen bis zu 83 Prozent der besser ausgebildeten Menschen im Land mit dem Gedanken, Albanien zu verlassen. Die Hälfte versucht es aktiv.

Sorge vor weiterem Braindrain

Die Abwanderung in Albanien gehört zu den größten Herausforderungen für das Land: Allein zwischen 2008 und 2018 emigrierten über eine Million Albanerinnen und Albaner in die EU – im Land selbst leben heute noch 2,8 Millionen Menschen. Auch Muzhaqi selbst wohnte mehrere Jahre lang im Ausland. Sie studierte in London an der renommierten London School of Economics, dann in den USA – kehrte dann aber zurück. Eine Option, die sie ihren jungen Landsleuten schmackhaft machen möchte.

"Wir wollen, dass ihr ins Ausland geht, dass ihr Erfahrungen sammelt", betonte sie bei einem Treffen mit jungen Wirtschaftstreibenden. Doch ihrem Wunsch, dass die jungen Menschen dann tatsächlich zurückkehren, kommen derzeit nicht viele nach. Es fehlt an Perspektiven: Das Land zählt noch immer zu den ärmsten Nationen Europas, das monatliche Durchschnittseinkommen betrug 2020 umgerechnet etwa 430 Euro. Einen gesetzlichen Mindestlohn gibt es erst seit einem Jahr – er beträgt umgerechnet 245 Euro.

Stockender EU-Beitrittsprozess

Dazu kommt, dass der EU-Beitrittsprozess zuletzt ins Stocken geriet. Albanien stellte 2009 einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft und ist seit 2014 Beitrittskandidat. Im März des Vorjahres gaben die Staats- und Regierungschefs der EU grünes Licht für den Start von Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Nordmazedonien. Wann die Verhandlungen nun aber tatsächlich starten, bleibt weiterhin unklar. Das Problem: Bulgarien hat sein Veto gegen die Verhandlungen mit Nordmazedonien eingelegt und blockiert damit auch die Gespräche mit Albanien.

Jugendliche am abendlichen Skanderbeg-Platz. Die Politik bemüht sich nach Kräften, den Braindrain ins Ausland einzubremsen.
Foto: Antonia Rauth

Viele junge Menschen erleben das als frustrierend. Der Hunger nach Partizipation ist groß – Jugendstaatssekretärin Plakolm sprach sich bei ihrem Besuch deshalb dafür aus, hier vorzugreifen: "Aus meiner Sicht spricht absolut nichts dagegen, beispielsweise Albanien voll und ganz in Erasmus und Interrail zu integrieren." Ideen, die bei vielen jungen Menschen in Tirana auf offene Ohren stoßen.

Auch Klajdi Priska absolvierte einen Teil seines Studiums im Ausland. In diesem Zusammenhang Hürden abzubauen, befürwortet er. Wenn er am Skanderbeg-Platz von den Plänen für Tiranas Jahr als Jugendhauptstadt erzählt, ist zumindest bereits ein Hauch internationaler Vernetzung spürbar.

Hinter ihm sitzen Jugendliche auf froschgrünen "Enzis", den markanten Sitzquadern, die für das Wiener Museumsquartier entworfen wurden und das Bild zahlreicher öffentlicher Plätze und Campusanlagen in Österreich prägen. Priska sieht Tiranas Jahr als Jugendhauptstadt als eine Möglichkeit für Albaniens Jugend, sich zu beweisen: "Wir wollen zeigen, dass wir Teil von Europa sind. Wir stehen für dieselben Werte – und wir haben eine Zukunft." (Antonia Rauth aus Tirana, 11.2.2022)