Das mittelalterliche Europa hatte mit einer ganzen Reihe von Krankheiten zu kämpfen. Während Typhus, Ruhr, Lepra oder Pocken jedoch im Allgemeinen meist nur lokal grassierten, sorgte ein Erreger im 14. Jahrhundert für eine kontinentale Katastrophe: Das Pest-Bakterium Yersinia pestis brachte den Schwarzen Tod über Europa, Westasien und Nordafrika, alleine zwischen 1346 und 1353 raubte es einem Drittel der europäischen Bevölkerung das Leben. DNA-Analysen weisen darauf hin, dass dieser Peststamm mit dem Pelzhandel aus Russland und Zentralasien nach Europa gelangt war.

Die Pest wurde für zahlreiche Veränderungen in Religion, Politik und Kultur verantwortlich gemacht. Wie sich die Seuche jedoch demographisch auswirkte, wo sie wie stark wütete, blieb bislang an relativ wenige Schriftquellen gebunden und wurde nicht abschließend verstanden. Nun haben Forschende durch Analysen von Pollendaten aus 19 europäischen Ländern gezeigt, dass die Pest zwar in bestimmten Regionen durchaus verheerende Folgen hatte, in anderen Teilen Europas jedoch sehr viel weniger stark oder auch gar nicht auftrat.

Der "Triumph des Todes" ist ein Fresco aus dem Bürgerhospital im Palazzo Sclafani in Palermo. Es wurde um das Jahr 1445 von einem unbekannten Meister geschaffen.
Foto: Pierluigi De Vecchi ed Elda Cerchiari

Landschaftlichen Veränderungen auf der Spur

Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der Palaeo-Science and History-Gruppe des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte (MPI-SHH) analysierte dafür fossile Pollen von 261 Untersuchungsorten aus 19 europäischen Ländern. Ziel war es zu bestimmen, wie sich Landschaft und landwirtschaftliche Aktivität zwischen 1250 und 1450 veränderten. Ihre Analysen unterstützen die bisherigen Erkenntnisse, dass bestimmte europäische Regionen besonders schwer von der Pest getroffen wurden. Sie zeigen jedoch auch, dass einige Regionen weniger stark von der Seuche heimgesucht wurden.

Die Palynologie – die Untersuchung von Sporen und Pollenkörnern – diente dabei als ein besonders wichtiges Werkzeug zur Untersuchung der demographischen Auswirkungen der Pest. Mithilfe eines neuen Ansatzes, genannt Big-data paleoecology (BDP), analysierten die Forschenden 1.634 Pollenproben, die in ganz Europa gesammelt wurden. Dadurch konnte das Team abschätzen, welche Pflanzen in welchen Mengen angebaut wurden. In welcher Region der Ackerbau völlig zum Stillstand kam, konnte mit dieser Methode ebenso nachgewiesen werden, wie die Wildpflanzenarten, die auf den früheren Feldern nachwuchsen.

Quellen bestätigen die Pollen

Einen besonders starken Rückgang landwirtschaftlicher Aktivität erlebten Skandinavien, Frankreich, Südwestdeutschland, Griechenland und Mittelitalien. Dies korreliert mit den hohen Sterblichkeitsraten, die bereits in mittelalterlichen Quellen beschrieben wurden. Zentral- und Osteuropa sowie Teile Westeuropas, darunter Irland und die Iberische Halbinsel, zeigten hingegen Anzeichen für Kontinuität und ununterbrochenes Wachstum. Auch Regionen wie Böhmen, Ungarn und Polen könnten ihre Blüteperiode ab 1350 nicht zuletzt dem Ausbleiben des Schwarzen Todes verdanken, wie die Forschenden im Fachjournal "Nature Ecology and Evolution" berichten.

Auf Grundlage der Pollenuntersuchungen erstellten die Forschenden regionale Szenarien der demografischen Pest-Auswirkungen. Die markierten Bereich zeigen, wo die Bevölkerungszahlen gewachsen bzw. gesunken sind.
Grafik: Hans Sell, Michelle O’Reilly, Adam Izdebski / Izdebski et al., Nature Ecology & Evolution, 2022

"Diese signifikante Variabilität in der Mortalität muss erst noch vollständig erklärt werden. Doch lokale Gegebenheiten hatten wahrscheinlich einen Einfluss auf die Verbreitung, die Infektionsrate sowie die Sterblichkeit von Y. pestis", so Alessia Masi vom MPI-SHH und der Universität La Sapienza in Rom.

Verfälschte Daten

Ein Grund für diese überraschenden Ergebnisse liegt darin, dass viele der quantitativen Quellen aus urbanen Gebieten stammen, welche besonders durch beengte Räumlichkeiten und schlechte Hygiene gekennzeichnet waren. In der Mitte des 14. Jahrhunderts lebte jedoch mehr als drei Viertel der europäischen Bevölkerung in ländlichen Regionen. Die aktuelle Studie zeigt, dass für die Untersuchung der Mortalität in einer bestimmten Region Daten aus lokalen Quellen rekonstruiert werden müssen, darunter auch mit dem BDP-Ansatz, um etwaige Veränderungen der örtlichen Landschaft zu bestimmen.

"Es gibt kein universelles Modell für ‚die eine Pandemie‘ oder den ‚einen Pestausbruch‘, welches für jeden Ort und jeden Zeitpunkt angewendet werden kann", sagt Adam Izdebski vom MPI-SHH. "Pandemien sind komplexe Phänomene, die jedoch auch immer regionale und lokal unterschiedliche Ausprägungen aufweisen. Was wir schon während der Covid-19-Pandemie erlebten, konnten wir nun auch für die damaligen Pestausbrüche zeigen." (red, 11.2.2022)