Lange Zeit hat sich die Firma Elmayer höchst professionell um den guten Ton in allen Lebenslagen und in diesem Land bemüht, und jetzt erweist sich alles als vergeblich. Was auffällt: Es sind die modernen Kommunikationsmittel, die auf viele Menschen enthemmend wirken, die Menschen selbst haben sich kaum verändert. Wer einst sich nicht an Andreas Khols "Roten Gfriesern" stieß, wird auch am "Roten Gsindl" Johanna Mikl-Leitners wenig auszusetzen haben. Die Flut von Unrat, die sich aus gehobenen türkisen Kreisen in den letzten Jahren über das Land ergossen hat, entströmte den Handys, persönlicher Meinungsaustausch hätte niemals zu so häufigen Forderungen an die ÖVP geführt, innere Einkehr zu üben. Was diese natürlich als Zumutung empfindet und noch reizbarer macht.
"Ich möchte mich ausdrücklich bei jeder und jedem Einzelnen entschuldigen, die oder der sich von dieser Nachricht aus der Vergangenheit angesprochen fühlt", versuchte die Landeshauptfrau das Problem einzufangen und drang damit zu seiner Wurzel vor: Was bringt das? Zwar muss man loben, dass sie in ihrer Entschuldigung gegendert hat, aber entschuldigt hat sie sich nicht für die Aussage, sondern für deren Enthüllung. Ehrlich gemeint, hätte sie sich 2016 nach dem Handyfonat entschuldigen müssen, und das umso rascher, als viele der jeder und jeden Einzelnen inzwischen verblichen sein dürften, ihnen der Genuss ihrer Entschuldigung also versagt geblieben ist. Die SPÖ ist schließlich eine leicht überalterte Partei.
"Was ist eigentlich das Schimpfwort der SPÖ für die ÖVP?"
Man sollte auch unterscheiden, ob es sich bei den Entgleisungen um interessengeleitete Herabstufungen unliebsamer Mitbewerber oder um Äußerungen reiner Gesinnung handelt, wie im obigen Fall. Wenn etwa Herbert Kickl gerade einen über den Freiheitsdurst getrunken hat und die Regierung als eine Sammlung von Falotten bezeichnet, ist das zwar unhöflich, aber zur Not als Kritik an ministerieller Tätigkeit zu interpretieren, über deren Richtigkeit man natürlich streiten kann. Die Formulierung "Rote bleiben Gsindl" hingegen zieht einen historischen Bogen über einen Abschnitt der österreichischen Geschichte, auf den eine Kolumnistin der "Kronen Zeitung" verdienstvoll aufmerksam machte.
Diese Missachtung zwischen ÖVP und SPÖ zieht sich schon seit der Zwischenkriegszeit durch und wurde während der großen Koalitionen dadurch gedämpft, dass sich "Rote" und "Schwarze" die Republik aufteilten, schrieb sie in der Donnerstag-Ausgabe. Aus dieser gedämpften Aufteilung leitete sie die Frage ab: Was ist eigentlich das Schimpfwort der SPÖ für die ÖVP?
Prostitution im schiefen Licht
Von der roten Parteispitze gibt es dazu wieder einmal keine Direktive an die Massen, in diesem Fall wohl kein Versäumnis, hat doch die in der "Krone" angesprochene Missachtung in der Zwischenkriegszeit sehr einseitige Formen bis zu Hinrichtungen angenommen,was beim "roten Gsindl" bis heute zumindest die Mentalreservation eines schwarzen Gsindls, das die Demokratie beseitigte, am Leben erhält. Aber in Chats ist davon noch nichts aufgetaucht. Statt der Parteispitze wurde die Jugend aktiv mit dem Slogan "Lieber rotes Gsindl als Hure der Reichen", eine Formulierung, die geeignet ist, die Prostitution in ein schiefes Licht zu rücken.
Neben der historischen Interpretation des Gsindl-Begriffs leistete neben dem "Standard" wieder die "Kronen Zeitung" Aufklärungsarbeit. Sie alarmierte zu diesem Zweck einen Experten, der zu dem Schluss kam, es sei eine erhebliche Missachtung und Respektlosigkeit, eine Gruppe als "Gsindl" zu bezeichnen, nur deshalb, weil es sich dabei um Gesinde, jene armen Schweine handelte,die auf den Höfen gerackert haben und verdächtigt wurden, Diebe zu sein, hinterfotzig und niederträchtig, man vertraute ihnen nicht.
Schlag nach bei Kluges Etymologischem Wörterbuch
Solche klassenkämpferischen Töne waren dem "Standard" fremd, vielleicht auch weil der Begriff hinterfotzig inzwischen im Zusammenhang mit Pfau einem Ex-Bundeskanzler reserviert wurde, rotem Gsindl also nicht zusteht. Immerhin empfahl das Blatt Kluges Etymologisches Wörterbuch, um demselben zu entnehmen, das das Gsindl auf althochdeutsch gisindi hieß. Hätte Mikl-Leitner nicht wenigstens "rotes gisindi" sagen können?
Als staatstragend erwies sich wieder einmal "Die Presse". Sie fürchtete, "Gsindl"-Chat stört leise Annäherung, nämlich die zwischen SPÖ und ÖVP. Nehammer müsse zudiesem Sittenverfall Stellung nehmen. Der? Der sieht doch nicht einmal ein Korruptionsproblem. (Günter Traxler, 12.2.2022)