Horváths Charakterstudien des Spießertums tun deswegen so weh, weil ihnen immer noch irgendwo ein Rest von Menschlichkeit innewohnt: ein Szenenbild aus der Klagenfurter Inszenierung von "Figaro lässt sich scheiden".

Karlheinz Fessl

Mitte November des vorigen Jahres hing im Stadttheater Klagenfurt der Himmel voller Geigen, die Mozarts Noten spielten und dazu Figaros Hochzeit feierten. Jetzt, gerade einmal drei Monate später, gibt man am selben Haus unter Berufung auf Ödön von Horváth bekannt: Figaro lässt sich scheiden. Eine Komödie?

Martina Gredler nahm für ihre Inszenierung des 1937, vier Jahre nach Hitlers Machtergreifung uraufgeführten Stücks ein paar kleine Änderungen vor. Mitten im zweistündigen Abend erfolgt in Richtung Publikum ein aufrüttelnder Appell in Sachen Frauenrechte, unter traurigerweise aktueller Bezugnahme darauf, wie regelmäßig sie Opfer von Gewaltverbrechen werden.

Und am Ende finden, anders als bei Horváth, die geschiedenen Eheleute Figaro und Susanne nicht wieder zusammen, denn Susanne hat vom Heiraten in dieser Gesellschaft und für dieses Leben genug.

Flüchtlingsthema eingebunden

Man muss aber wohl anmerken: Schon Mozart konnte die Schlusskurve zur Opera buffa nur mit einem dramaturgischen Kraftakt vollziehen. Den Umstand, dass das Grafenpaar und sein Bediensteten-Pärchen vor politischen Unruhen im Nachbarland fliehen, nimmt Martina Gredler werktreu zum Anlass, auch das Flüchtlingsthema einzubinden.

Zuerst mit der Persiflage auf einen österreichischen Grenzposten, dann immer böser mit der deixhaften Biertischrunde von "Großhadersdorf", die immer schon gewusst hat, dass Ausländer gefährlich sind. Und so ersteht auf der Bühne ein brisantes Gemisch aus Fremdenhass und Frauenfeindlichkeit, garniert mit Horváths unvergleichlichen Charakterstudien des Spießertums, die so wehtun, weil ihnen immer noch irgendwo ein Rest von Menschlichkeit innewohnt.

Eine schlichte Fassade im Hintergrund der Bühne (Sophie Lux) markiert bald das Zollamt und bald das Grandhotel, ein riesiger Stoß gefällter Bäume den Park des verwahrlosten Schlosses, wo man zuletzt noch einmal aufeinandertrifft.

Der schmierige Figaro des Wieners Florian Carove windet sich auch körpersprachlich höchst überzeugend in seinen Ausflüchten und behaupteten Sachzwängen, ehe er als Schlossverwalter so richtig gemein wird.

Ihm dann eben nicht mehr zur Seite steht Hanna Binder als eine, die nicht mehr so herumgeworfen werden will wie im (sehenswerten) Tango mit dem Forstadjunkten. Beeindruckend ebenso Elisa Seydel als aristokratische Selbstbeherrschung in Person, sogar am Eislaufplatz im Nobelskiort, und dann Dominik Warta: Hochmut, Eleganz und Zerbrechlichkeit kommen da an die unvergessliche Leistung heran, die Helmuth Lohner dem Publikum in dieser Rolle geschenkt hat.

Schaubuden und Ringelreih’

Der im Dauereinsatz befindlichen Drehbühne des Stadttheaters gewinnt die Regie den Charakter eines Ringelreihens ab. Das passt zum Dramenstil Horváths, der in seiner Bildabfolge immer irgendwie etwas Schaubudenhaftes hat.

Es wird damit auch eine Verbindung zu den Dramen hergestellt, für die der Name dieses Autors theatergeschichtlich steht: Die Geschichten aus dem Wiener Wald, praternah an der Donau, oder Kasimir und Karoline auf der Münchner Wies’n. Übrigens kommt auch Figaros geschiedene Susanne vorübergehend als Kellnerin in einem Nachtcafé unter. (Michael Cerha, 12.2.2022)