Folgt man der Argumentation der politischen und geistlichen Führung im Iran, so steckt "Der Feind" hinter der Corona-Pandemie. Dieser Gegner, vor allem die USA, habe mit der Virus-Bedrohung einen Grund gefunden, um die Menschen im Iran etwa davon abzuhalten, an den Parlamentswahlen teilzunehmen. Das meinte Ayatollah Ali Khamenei schon zu Beginn der Pandemie, im März 2020. Den USA warf er auch vor, das Virus überhaupt erst produziert zu haben; und er verbot den Kauf von – damals noch in Entwicklung befindlichen – Impfstoffen aus den USA und Großbritannien.

Während ein hoher Prozentsatz der iranischen Bevölkerung den ersten und zweiten Stich erhalten hat, hinkt man bei der Booster-Impfung stark nach.
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Was Khamenei anfangs noch als harmlose Krankheit bezeichnete, breitete sich im Iran aber explosionsartig aus. Die Pandemie wurde am Anfang geleugnet, notwendige Hygiene- und Quarantänemaßnahmen zu spät ergriffen. Nach offiziellen Angaben kostete das Virus in den ersten zwei Jahren mehr als 130.000 Menschen im Land das Leben, mehr als sechs Millionen Menschen erkrankten. Unabhängigen Berichten zufolge könnten die tatsächlichen Zahlen bis zu dreimal so hoch sein.

Erste bestätigte Corona-Fälle wurden 2020 in der Pilgerstadt Ghom, 150 Kilometer von Teheran entfernt, gemeldet – angeblich durch chinesische Religionsstudenten eingeschleppt. Wegen des Jahrestags der Islamischen Revolution am 12. Februar hatte man die Krise nicht öffentlich eingestanden, die Menschen sollten weiterhin zu Kundgebungen gehen. Auch später, bei den Parlamentswahlen, wurde dieselbe Taktik angewendet.

Trotz Warnungen keine Einschränkungen

Nun, zwei Jahre danach, steht der Iran wieder vor Jahrestag-Feierlichkeiten aus Anlass der Islamischen Revolution – und trotz aller Warnungen will man auch heuer keine Einschränkungen erlassen. So durften zwar beim Fußballspiel zwischen dem Iran und den Vereinigten Arabischen Emiraten keine Zuschauer ins Stadion, gleichzeitig gab es aber keine Einschränkungen für jene Menschen, die sich zum Jahrestag der Revolution versammeln wollten.

Inzwischen werden Stimmen laut, die das Vorgehen der Regierung – und vor allem die Haltung Ayatollah Khameneis – als Ursache für die hohe Zahl an Infektionen und Todesfällen verantwortlich machen. So wirft auch die inhaftierte Menschenrechtsaktivistin Narges Mohammadi Khamenei in einem Brief vor, am Beginn der Pandemie das Coronavirus als biologische Waffe der Amerikaner gegen den Iran bezeichnet zu haben und den Import von Impfstoffen aus dem Westen verboten zu haben. Eine Meinung, die im Iran mittlerweile auf breite Zustimmung stößt.

Die Omikron-Variante wird im Iran oft auf die leichte Schulter genommen, daher lässt die Disziplin – etwa beim Tragen der Maske – nach.
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Erst mit Verspätung – und nachdem eine neue Welle den Iran erfasst hatte – wurden das chinesischen Vakzin Sinopharm und das russische Sputnik-V bestellt. Iranische Institute versprachen anfangs, wöchentlich drei Millionen Impfdosen zu produzieren – aber wegen technischer Probleme konnten sie nicht rechtzeitig liefern.

Weiterhin wollen viele sich mit den iranischen Impfstoffen nicht impfen lassen. Daher erlaubte man nach anfänglichem Zögern, doch auch andere Impfstoffe zu bestellen – freilich unter der Voraussetzung, sie würden nicht in den USA oder Großbritannien produziert.

Vergleichsweise wenige Booster-Impfungen

Wie überall anders auch, hat sich auch die Omikron-Variante rasant verbreitet, fast alle Landesteile werden aktuell als Risikogebiete eingestuft. Alireza Zali, Chefbeauftragter zur Bekämpfung der Pandemie im Iran, wies darauf hin, dass in der Hauptstadt Teheran zehn Millionen Menschen die erste und etwa gleich viele die zweite Impfung, aber nur 200.000 den dritten Stich erhalten hätten. Teheran hat mehr als 14 Millionen Einwohner. 48 Prozent der Hauptstadtbevölkerung seien bereits mit Omikron infiziert worden, allein in den vergangenen Tagen sei die Zahl der Erkrankten im ganzen Land um 167 Prozent gestiegen.

Neuesten Berichten zufolge erhielten bisher 61 von 84 Millionen Menschen den ersten und fast 55 Millionen Menschen den zweiten Stich, 20 Millionen die Booster-Impfung. Genaue Zahlen über einzelne Landesteile oder Metropolen liegen nicht vor, die Statistiken werden sehr allgemein formuliert.

Nach Angaben von Ali Mardni, einem Mitglied des Komitees zur Coronavirus-Bekämpfung, haben bisher sechs bis sieben Millionen Menschen eine Impfung verweigert. 20 Prozent aller Infizierten seien Kinder, trotzdem steht es den Eltern frei, ihre Kinder zur Schule zu schicken oder sie online am Unterricht teilnehmen zu lassen.

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Alljährliches Ritual bei den Revolutionsfeiern: US-Flaggen werden verbrannt.
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Die allgemeine Auffassung im Land, die Omikron-Variante sei weniger gefährlich, führt zum Teil zu Sorglosigkeit. Doch die massive Belastung des medizinischen Personals führte dazu, dass allein im laufenden persischen Jahr, das in zwei Monaten zu Ende geht, mehr als 2.000 Krankenschwestern den Iran verlassen haben und 3.000 Ärzte im Begriff sind, dem Iran den Rücken zu kehren, wie Dr. Sharif Moghadam, Direktor des medizinischen Personals, in einem Interview bekanntgab. Nach seiner Statistik ist eine 400-prozentige Steigerung der Auswanderung von Krankenschwestern und des medizinischen Personals erkennbar.

Große Sorglosigkeit

Obwohl fast alle Städte im Iran im roten Bereich liegen, tragen nur 40 Prozent der Menschen Masken oder halten sich an Hygienemaßnahmen. Zwar gibt es keine genauen Statistiken über Corona-Patienten auf den Intensivstationen, doch viele Medizinerinnen und Mediziner sprechen von ausgeschöpften Kapazitäten in den Krankenhäusern.

Im Iran herrscht eigentlich kein Mangel an medizinischem Personal und das Land verfügt auch über eine vergleichsweise gute medizinische Infrastruktur, doch die Sorglosigkeit der Bevölkerung stellt die medizinische Kapazität vor große Probleme. Die Patienten können sich in privaten und oder staatlichen Krankenhäusern behandeln lassen, falls sie versichert sind. In privaten und zum Teil auch in staatlichen Krankenhäusern müssen die Kosten der Medikamente vom Kranken getragen werden, was für viele nicht leistbar ist. Auch die Corona-Tests sind nicht kostenlos, weswegen viele Menschen sich gar nicht erst testen lassen.

Schon spricht man im Iran daher von der "sechsten Welle" der Pandemie – dennoch sind für die kommenden Tagen keine Einschränkungen geplant. Sehr wohl aber umfangreiche Feiern zum 12. Februar – dem Jahrestag der Revolution. (Amir Loghmany, 12.2.2022)