Problembeispiele der Rückgabekultur: die aztekische Federkrone im Wiener Weltmuseum.

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Friesplatten vom Parthenon-Tempel im British Museum.

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Vor einigen Jahren hat der Direktor eines Hamburger Museums, der jetzt als Kurator für das Wiener Weltmuseum arbeitet, eine Reliefplatte aus dem 12. Jahrhundert an Afghanistan zurückgegeben. Nach letzten Meldungen ist sie trotz Machtübernahme durch die Taliban unversehrt, möglicherweise, weil es sich um ein Werk aus islamischer Zeit handelt. Seit der Zerstörung der riesigen Buddha-Statue in Bamiyan durch die Taliban im Jahr 2001 muss man ja um Kunstschätze in Afghanistan bangen.

Die Episode beleuchtet die Schwierigkeiten, die mit der nun weltweit anlaufenden Bewegung zur Rückgabe kolonialer Kulturgüter aus westlichen Beständen verbunden sind: Das Bekenntnis zur Restitution setzt sich international durch, Frankreich ist unter Emmanuel Macron zum Vorreiter geworden und will vor allem seinen Bestand an afrikanischen Benin-Bronzen zurückgeben bzw. hat bereits einige der Skulpturen restituiert. Auch britische und deutsche Museen anerkennen die Notwendigkeit, eine Lösung für das massenhaft geraubte nationale Kulturerbe ehemaliger Kolonien zu finden. Nach einer Schätzung befinden sich 90 Prozent (!) der afrikanischen Kunst außer Landes.

Rückgabe bei Reisewarnung

Allerdings: In sehr vielen Ländern der sogenannten Dritten Welt toben Bürgerkriege, herrscht Terrorismus, vor allem von islamis tschen Gruppen. Wie steht es da mit der Restitution? Die Benin-Bronzen, die von den Briten in einem Kolonialkrieg Ende des 19. Jahrhunderts brutal geraubt worden waren, sollen in ein neues Museum im früheren Königreich Benin. Das ist Teil von Nigeria, wo die islamistische Sekte Boko Haram wütet. Zwar weit weg im Norden, aber auch für Benin hat das britische Außenministerium eine Reisewarnung ausgesprochen.

Hermann Parzinger von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sagte im STANDARD-Interview, in Bürgerkriegsländer werde man nicht restituieren. Aber Bürgerkriege lassen sich oft nicht vorhersehen: Kaum jemand rechnete damit, dass die islamischen Fanatiker vom "IS" die nordirakische Stadt Mossul erobern würden. Das Museum dort wurde zerstört und jahrtausendealte assyrische Plastiken aus dem biblischen Ninive als unislamische Götzenbilder zertrümmert (zum Teil soll es sich um Kopien gehandelt haben).

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Karyatidenkopf im Akropolismuseum
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Was tun? Jonathan Fine, der Direktor des Wiener Weltmuseums (vormals Völkerkundemuseum), sieht das pragmatisch: "In der Vergangenheit haben Museen häufig argumentiert, dass sie Objekte nicht zurückgeben können, wenn die Länder, die um sie bitten, ihre Sicherheit nicht vollständig gewährleisten können. Ich glaube, als kategorische Position ist das nicht zu vertreten. Ich halte es für nicht vertretbar, dass man kategorisch in solchen Fällen Rückgaben verbietet. Es gibt viele Gründe, die Menschen und Länder dazu bewegen können, um die Rückgabe von Gegenständen zu ersuchen; man muss einen Rahmen schaffen, der diese Vielfalt berücksichtigt." Kürzlich hatte der internationale Beirat, der Rahmenvorschläge für Wien erarbeiten soll, seine erste Sitzung.

"Wir leben nicht mehr nach den Vorstellungen des 19. Jahrhunderts. Wir müssen zeit gemäße Vorschläge machen." Jonathan Fine, Weltmuseum

Ein anderes Argument gegen Restitution vor allem kolonialer Raubkunst ist, dass Museen universale, übernationale Institutionen sind, die nicht auf "nationales Kulturerbe" verengt werden sollten. Vor ein paar Jahren schrieb Tristram Hunt, Chef des Londoner Victoria and Albert Museum, dazu: "Ich glaube, dass wir auf dem Pfad der totalen Restitution, diktiert von einer politischen Agenda, vorsichtig schreiten sollten. Es verbleibt etwas essenziell Wertvolles in der Fähigkeit von Museen, Objekte jenseits von spezifischen kulturellen und ethnischen Identitäten zu positionieren."

Jonathan Fine: "Museen haben oft behauptet, dass sie nicht zurückgeben sollten, weil es ihre Aufgabe ist, das globale Erbe zu bewahren. Aber wenn Museen wirklich eine globale Verantwortung wahrnehmen wollen, können sie nicht einfach alte, eurozentrische Ideen als global neu verpacken. Sie müssen ihr Per sonal diversifizieren und wirklich globale Meinungen in ihre Entscheidungsfindung ein bauen".

Und dann ist noch die Frage, ob nicht manches Welterbe durch das Verbringen in westliche Museen erst gerettet wurde. Eine berühmte Streitfrage seit Jahrzehnten ist die nach der Rückgabe der Parthenon-Figuren oder "Elgin Marbles" aus dem British Museum. Das Schicksal des Parthenon, des 2500 Jahre alten Athena-Tempels auf der Akropolis, eignet sich ganz gut zur Illustration, wie schwierig manchmal Raub und Rettung zu unterscheiden sind und wie gut man sich Restitution überlegen muss.

Raub oder Rettung

Thomas Bruce, siebenter Earl of Elgin und damals britischer Botschafter im Osmanischen Reich, ließ zwischen 1802 und 1810 auf der Akropolis vom 2500 Jahre alten Parthenon-Tempel etwa die Hälfte der Platten mit den Reliefs abmontieren und nach Großbritannien bringen. Bestechung war da sicher im Spiel.

Aber: Lord Elgin war damals der Einzige, der sich um das Monument kümmerte. Griechenland war keine eigene Nation, kein eigener Staat, den osmanischen (türkischen) Besatzern war der heidnische Tempel so etwas von egal (sie hatten ihn im 17. Jahrhundert als Pulvermagazin genutzt, mit einer verheeren Explosion bei einer Belagerung durch die Venezianer). Nur "Philhellenen" wie Elgin inter essierten sich für die griechische Antike als Wiege der europäischen Kultur. Der Lord machte später geltend, er habe zumindest ei nen Teil der Kunst vor dem Griechischen Unabhängigkeitskrieg (1821–1829) geschützt.

Mit einiger Wahrscheinlichkeit auch vor dem sauren Regen des 20. Jahrhunderts. An den Karyatiden, den großen Frauenstatuen des Erechtheion-Tempels, die nun im großartigen neuen Akropolismuseum stehen, kann man es sehen: Die Gesichter sind total zerfressen, die Haarpracht am Hinterkopf ist noch intakt (weil sie sich unter dem Vordach befand).

Elgins Skulpturen ging es wohl besser als den auf der Akropolis verbliebenen. Allerdings gibt es aus konservatorischer Hinsicht heute keinen Grund mehr, die "Elgin Marbles" nicht zurückzugeben. Im Akropolismuseum könnten sie statt der heute dort angebrachten Gipsabdrücke die verbliebenen Originale ergänzen.

Terroristen vom "Islamischen Staat" zerstören assyrische Skulpturen im Museum Mossul, Irak
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Oder ein anderer berühmter historischer Fall: Heinrich Schliemann glaubte an die Existenz von Homers Troja und fand es an der türkischen Küste. Den dort ausgegrabenen (vermeintlichen) "Goldschatz des Priamos" schmuggelte er zunächst hinaus und löste ihn später den daran nicht interessierten osmanischen Behörden um einen Spottpreis ab. War nun Schliemann mehr ein "Räuber", wie die Zeit schreibt, oder ein kultureller Held, ohne den Troja ein grasbewachsener Hügel in der Provinz und der archaische Goldschmuck unter der Erde geblieben wäre? Der archaische Schatz ist heute übrigens in Moskau – Kriegsbeute aus Berlin 1945.

Auf Museumskommissionen in aller Welt wartet viel Bewertungsarbeit. Die Sammlerwut der Habsburger hat auch das Weltmuseum gefüllt, die Herkunft vieler Objekte ist zweifelhaft oder unbekannt. Ein Prunkstück der Sammlung, die aztekische Federkrone aus Mexiko, käme wohl grundsätzlich als Objekt einer Restitutionsforderung infrage. Aber, so bestätigt auch Direktor Fine, man habe sich mit den mexikanischen Fachkollegen geeinigt, dass die erstklassig restaurierte Krone zu fragil zum Transport sei. (Hans Rauscher, 12.2.2022)