Der ausgebildete Rettungshund Flintstone kann menschliche Knochen im Erdboden erschnüffeln. Diese Fähigkeit kommt bei der Suche nach Opfern des größten Grazer Zwangsarbeiterlagers zum Einsatz.
Foto: APA/Rainer Possert

Die heutige Verwendung der Flächen lässt nicht auf die Gräueltaten schließen, die hier zur Zeit des Nationalsozialismus verübt wurden. Wo sich heute ein Kindergarten, Wohnhäuser, Grünflächen und Schrebergärten befinden, stand einst das Lager Graz-Liebenau. Dabei handelte es sich um das größte Zwangsarbeiterlager der Stadt, in dem bis zu 5.000 Personen inhaftiert waren. Im Jahr 1947 wurden bereits 53 ermordete Menschen exhumiert, doch es dürfte weitere unbekannte Gräber geben.

Ziel der Gedenkinitiative Graz-Liebenau ist es, diese Stätten zu finden. Dabei kommen auch ungewöhnliche Methoden zum Einsatz: Ein Knochen-Spürhund soll bei der Suche helfen und bereits an sieben Stellen auf Spuren gestoßen sein.

Wo sich während der NS-Zeit 190 Baracken für verschleppte Zwangsarbeiter befunden haben und Menschen getötet wurden, entstanden in der Nachkriegszeit rasch Wohnhäuser, später dann auch ein Kindergarten. Noch im April 1945 war der Lagerkomplex im Süden von Graz eine Station der ungarischen Juden auf den Todesmärschen des "Südostwallbaus". Einige von ihnen wurden dort erschossen: 34 der im Mai 1947 unter Leitung der britischen Besatzungsmacht exhumierten 53 Leichen wiesen tödliche Schusswunden auf. Wie viele Menschen an diesem Ort insgesamt ermordet und verscharrt wurden, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen.

Flintstone auf Spurensuche

Es könnten jedoch noch zahlreiche unentdeckte Opfer geben, befürchtet der Grazer Allgemeinmediziner und Psychotherapeut Rainer Possert. Er versucht, Licht in die dunkle Geschichte zu bringen: 2011 gründete er die Gedenkinitiative Graz Liebenau. Sie bemüht sich um das Erinnern an diese und die weitere Suche nach Opfern der Evakuierungsmärsche ungarischer Jüdinnen und Juden in Richtung Konzentrationslager Mauthausen. Der Einsatz eines Knochen-Spürhundes soll mehr Klarheit über die Zahl der bereits in Graz Getöteten schaffen.

Im Auftrag der Gedenkinitiative wurde auch Dietmar H. Kroepel aus Otterfing in Bayern mit seinem Knochen-Spürhund herangezogen. Im Sommer 2021 führte er erste Untersuchungen auf dem Areal durch. Der "Knochenjäger" wird in Deutschland erfolgreich bei archäologischen Grabungen und "Cold Case"-Fällen eingesetzt. Der Hund "Flintstone" ist in der Lage, tiefliegende Knochen, die schon seit Jahren verschüttet sind, zu erschnüffeln und damit auch zeitlich weit zurückliegende Grabstellen zu markieren. "Er riecht die Ausscheidungen der Bakterien an menschlichen Knochen, die sie grundlegend von tierischen Knochen unterscheiden", schilderte Kroepel gegenüber der APA.

Funde am Kindergarten

Im Jänner ist der studierte Archäologe abermals mit seinem Hund am ehemaligen Lagergebiet unterwegs gewesen. Die Erkenntnisse der Begehungen hat Kroepel am Samstag in Graz vor Ort präsentiert. Demnach hat der ausgebildete Rettungshund, der zusätzlich auf die Suche von menschlichen Knochen geschult wurde, sieben Stellen erschnüffelt, die vermuten lassen, dass im Erdreich Knochen liegen. Zusätzlich gebe es weitere kontaminierte Stellen im Bereich des Seifenfabriksgeländes, eines Feldes im Nordosten, rund um einen Hochspannungsmast und Kleingärten, im Bereich Fiziastraße und der südlichen Zone zwischen Eduard-Keil-Gasse und Andersengasse. Dort wären weitere Feinsuchen erforderlich, wie Kroepel zusammenfasste.

Wo 2018 Ausgrabungen am Rande des ehemaligen NS-Lagers Graz-Liebenau (Steiermark) durchgeführt wurden, befinden sich heute Schrebergärten.
Foto: APA/Rainer Possert

Die Stellen würden sich zum Teil mit den Verdachtspunkten zweier Luftbildgutachten, die die Gedenkinitiative erstellen ließ, decken, sagte Rainer Possert. So wurde etwa auch das Areal des städtischen Kindergartens in der Andersengasse wiederholt vom Hund untersucht: Als dort 1991 die Errichtung des Gebäudes anstand, wurden in dem Bereich die sterblichen Überreste zweier Todesopfer gefunden.

Nicht als Ruhestätte deklariert

Vonseiten der Stadt Graz ist man damals vom Plan einer Unterkellerung des Kindergartens abgerückt. "Da Mordopfer in der Regel in mindestens 160 Zentimeter Tiefe verscharrt worden waren, war es unwahrscheinlich, dass bei den kellerlosen Neubauten Knochenfunde gemacht wurden, da nur bis zur Fundamenttiefe von etwa 60 Zentimetern archäologisch untersucht werden durfte", sagte Possert. "Eigentlich hätte man den Auffundort schon damals als immerwährende Ruhestätte deklarieren können und nicht eine öffentliche Einrichtung darauf bauen sollen. Wie war das damals möglich?"

Aus seiner Sicht bestärkt die aktuelle Befundung die Vermutung, dass unter dem Kindergarten die sterblichen Überreste von NS-Opfern liegen könnten. "Wie man mit den jüngsten Erkenntnissen umgeht, darüber muss sich die Stadt Gedanken machen. Verschweigen halte ich jedenfalls nicht für die beste Lösung", sagte Possert.

Analyse eines Schädelfunds

Er sprach sich für weitere Begehungen aus, um eine lückenlose Dokumentation der Position menschlicher Knochen zu erhalten: "Das Areal ist noch bei weitem nicht fertig untersucht. Da gibt es noch viel zu tun." Ende Februar seien Gespräche mit der Stadt vorgesehen. Aus seiner Sicht wäre es sinnvoll, dass bis in den Sommer hinein weitere Prospektionen stattfinden, hier bräuchte man aber finanzielle Unterstützung.

Im September 2020 wurde am Areal eine Tafel zum Gedenken an die in Liebenau verübten NS-Gräueltaten aufgestellt. Zuletzt wurden im Jänner 2021 bei einer Sondierungsgrabung für ein Bauprojekt in der Nähe des Kindergartens menschliche Knochenteile gefunden. Darunter ein menschlicher Schädelknochen, der ein Einschussloch von rund sieben Millimeter Durchmesser aufwies. Die Stadt Graz und ihre Kooperationspartner in Bund und Land Steiermark lassen diesen Knochenfund nun weiter untersuchen. (APA, red, 12.2.2022)