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Satellitenbilder zeigen russische Militärfahrzeuge nahe der Ukraine.

Foto: AP / Planet Labs PBC

Kiew/Moskau/Washington – Der Reigen von Gesprächen auf höchster Ebene zur Lösung des Ukraine-Konflikts ist am Sonntag weitergegangen. Einen Tag nach seinem Telefonat mit Kreml-Chef Wladimir Putin sprach US-Präsident Joe Biden auch mit seinem ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj. Der ukrainische Präsident lud Biden zu einem baldigen Besuch in der Ukraine ein, teilte Selenskyjs Büro im Anschluss mit.

"Ich bin überzeugt, dass Ihre Ankunft in Kiew in den kommenden Tagen, die für die Stabilisierung der Lage entscheidend sind, ein starkes Signal sein und zur Deeskalation beitragen wird", zitierte das Präsidialamt Selenskyjs Worte zu Biden. Der Sender CNN zitierte einen ungenannten ukrainischen Beamten mit den Worten, Biden habe nicht positiv auf die Idee reagiert. Das Weiße Haus lehnte eine Stellungnahme zu der Einladung ab. Das Gespräch habe etwa 50 Minuten gedauert, hieß es aus Washington. Biden habe erneut klar gemacht, dass die USA bei einer russischen Aggression schnell und entschlossen antworten würden.

Zuvor hatten die USA weitere Rückzugsschritte aus der Ukraine gesetzt. Die US-Mitarbeiter der OSZE-Mission in der Ostukraine seien mit dem Auto aus Donezk weggefahren, sagte ein Augenzeuge. Ungeachtet von Ausreise-Aufrufen einzelner Staaten will die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) aber ihre Beobachtungsmission in der Ukraine fortsetzen. Die Sonderbeobachtungsmission teilte am Sonntagabend mit, sie werde "ihr Mandat weiter umsetzen und ihre Beobachter in zehn Städten in der ganzen Ukraine einsetzen".

Seit März 2014 sind hunderte OSZE-Beobachter in der Ukraine stationiert, um insbesondere die Waffenruhe zwischen den pro-russischen Separatisten und der ukrainischen Armee zu beobachten.

Sullivan verteidigt Warnungen

Am Sonntag nahm unterdessen Pentagon-Sprecher John Kirby zu jenen Medienberichten Stellung, die über einen Einmarsch Russlands am Mittwoch berichtet hatten. "Ich bin nicht in der Lage diese Berichte zu bestätigen", sagte Kirby während eines Interviews auf "Fox News Sunday". Die USA würden jedoch davon ausgehen, dass eine "größere Militäraktion jederzeit stattfinden könnte". Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan verteidigte die Warnungen Amerikas gegenüber CNN mit der Aussage: "Nur ein Land hat mehr als 100.000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen. Das sind nicht die Vereinigten Staaten. Es ist Russland. Das ist der Auslöser für den Alarm".

In einem separaten Interview mit CBS führte Sullivan aus, die USA planen "jeden Zentimeter des Nato-Gebiets, jeden Zentimeter des Artikel-5-Gebiets" zu verteidigen, falls es zu einer Invasion kommen sollte. Russland würde laut Sullivan "voll und ganz" verstehen, was diese Botschaft bedeute. Sullivan sagte ferner, der Präsident weise amerikanische Medienberichte zurück wonach das Weiße Haus versuche, die Evakuierung der Ukraine zu verzögern.

Diplomatie per Telefon

US-Präsident Joe Biden und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron hatten am Samstag nacheinander mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin telefoniert. Sie versuchten erneut, eine Eskalation im Konflikt um die Ukraine abzuwenden. Biden warnte Putin eindringlich vor einer Invasion und drohte einmal mehr mit Konsequenzen. Putin wiederum kritisierte die Haltung des Westens. Der Kreml beklagte, die Bemühungen um eine Lösung der Krise befänden sich in einer "Sackgasse". Das Telefonat zwischen Biden und Putin brachte keine konkreten Ergebnisse.

Für Sonntag wurde kurzfristig ein weiteres Telefonat anberaumt – dieses Mal zwischen US-Präsident Joe Biden und seinem Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj. Der Sprecher des ukrainischen Regierungschefs, Sergii Nykyforov, teilte über Facebook mit, die beiden Politiker würden "in den kommenden Stunden" die "Sicherheitslage und die laufenden diplomatischen Bemühungen zur Deeskalation" besprechen.

Reise von Scholz nach Kiew und Moskau

Vor der Reise des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz nach Kiew stellte Berlin der Ukraine weitere Rüstungshilfe in Aussicht – unterhalb der Schwelle tödlicher Waffen. Auf der von der Ukraine vorgelegten Wunschliste für militärische Ausrüstung sei "das eine oder andere (...), was man sich genauer anschauen kann", hieß es am Sonntag aus deutschen Regierungskreisen. Das werde nun geprüft.

Scholz wird bei seinen Reisen in die Ukraine und Russland nach Angaben aus Regierungskreisen die Entschlossenheit des Westens im Falle eines russischen Angriffes auf die Ukraine unterstreichen. Der Antrittsbesuch am Dienstag bei Russlands Präsident Putin diene auch dazu, diesem den Ernst der Lage klarzumachen, sagte ein Regierungsvertreter. "Dabei sollte die Geschlossenheit der EU, der USA und Großbritanniens nicht unterschätzt werden", fügte er mit Blick auf die angepeilten Sanktionen hinzu. Scholz wolle Putin aber auch einen Dialog anbieten und mehr über russische Sicherheitsbedürfnisse erfahren.

Polen bereitet sich auf möglichen Flüchtlingsstrom vor

Nach Warnungen der US-Regierung vor einem womöglich bevorstehenden russischen Angriff rüstet sich Polen für die Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine. Man bereite sich auf verschiedene Szenarien vor, twitterte Innenminister Mariusz Kaminski am Sonntag. "Dazu zählen auch Vorbereitungen der Chefs der Gebietsverwaltungen mit Blick auf einen eventuellen Zustrom von Flüchtlingen aus der Ukraine, die wegen eines möglichen Konflikts in unserem Land Schutz suchen könnten."

Ukrainische Staatsbürger dürfen derzeit zu touristischen Zwecken nach Polen und in den Schengenraum ohne Visum für bis zu 90 Tage einreisen. In Polen gibt es zudem viele ukrainische Arbeitskräfte. Nach Angaben des polnischen Ausländeramts besaßen im Dezember mehr als 300.000 Menschen aus der Ukraine eine Aufenthaltsgenehmigung, meist befristet auf drei Jahre.

Keine Reisewarnung aus Österreich

Inzwischen wurden Staatsbürger zahlreicher Staaten in den vergangenen Tagen dazu aufgerufen, die Ukraine zu verlassen. Aus Österreich gibt es keine explizite Reisewarnung. Doch es wird zu Vorsicht geraten: "Aufgrund der durch die russischen Truppenbewegungen an der Grenze zur Ukraine ausgelösten Spannungen wird zurzeit von allen nicht unbedingt notwendigen Reisen in die Ukraine abgeraten", schreibt das Außenministerium. Alle Reisenden und Auslandsösterreicher in der Ukraine sollen sich online registrieren und die Entwicklung der Lage in den Medien aufmerksam verfolgen.

Trotz der Spannungen sieht die Ukraine selbst zurzeit keinen Grund zur Sperrung ihres Luftraums. Mychailo Podoljak, ein Berater des Stabschefs des Präsidenten, nannte eine solche Überlegung "Unsinn". Falls Luftfahrtunternehmen ihre Flugpläne änderten, habe dies nichts mit Entscheidungen des ukrainischen Staates zu tun. Ihn erinnere das an eine "Teil-Blockade". Die niederländische Airline KLM hatte am Samstag erklärt, ihre Flugverbindungen in die Ukraine mit sofortiger Wirkung einzustellen.(met, APA, 13.2.2022)