Vokaler und szenischer Glanz: Diana Damrau als Anna Bolena.

Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Bereits bei ihrer "Geburt" war diese Inszenierung von Eric Genovese eine Liebeserklärung an die Opernsteinzeit. Sie wirkte, als hätte der Regisseur die Charaktere aus Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett entlehnt und in ein sinnlos opulentes Mauerwerk postiert. Damals, 2011, kam die Rettung in Vokalform durch Anna Netrebko (als Anna Bolena) und Elīna Garanča (als Giovanna Seymour).

Elf Jahre später: Man implantiert in den starren Kostümschinken gottlob ebenfalls tröstlichen vokalen Glanz. Dank Diana Damrau lohnte es sogar, den Abend bisweilen mit offenen Augen zu erleben; sie hat Bolena in Eigenregie gestalterisch vollkommen verinnerlicht.

Bolena ist eine Frau, die bei Gaetano Donizetti bald begreift, dass ihr Haupt sehr locker sitzt. Blöd gelaufen: Enrico VIII. hat seine Gattin zum Köpfen freigegeben, der Heiratssüchtige ist nun in Giovanna Seymour vernarrt, die Ekaterina Semenchuk mit dunkler Dramatik eindringlich präsentiert. Doch bis es so weit ist – mit Bolenas Ende –, durchlebt Damrau subtil alle Phasen eines Kampfes um Würde. Ob sie dem Gemahl wütend die Leviten liest oder lyrisch in geistige Umnachtung eintaucht: Damrau vermag mit Koloraturen und grellen Spitzentönen, mit dynamischen und klanglichen Schattierungen das Drama einer Todgeweihten nahezubringen.

Schmelz der Weltklasse

Der Tenor an ihrer Seite ist weniger flexibel. Dennoch ist Pene Pati als Bolena zugetaner Riccardo bemerkenswert. Mit seiner leicht geführten, sehr kostbar timbrierten Stimme, die nur bei Spitzentönen scharf und eng wird, zeigt er tenoralen Schmelz der Weltklasse. Es wäre jedoch kein Nachteil, wenn er weniger an der Rampe stünde und mehr auf die Figuren hinter sich achtete. Auf Bolena oder gar auf Enrico VIII., den Nicholas Brownlee vokal souverän kernig und durchdringend (als Stehpartie) präsentiert.

Dass die vokalen Qualitäten von Ensemble und Chor gut rüberkamen, verdankt sich Dirigent Giacomo Sagripanti. Er ließ das Orchester wie eine kostbare Spieldose agieren, unaufdringlich, aber pointiert, nobel im Kang, jedoch nie überzuckert wirkend. (Ljubiša Tošić, 13.2.2022)