Vincent Lindon und Juliette Binoche im Film von Claire Denis.

Foto: Berlinale

Im Kino die Außenwelt auszublenden – das ist momentan eher schwierig. Nicht einfacher ist es, den Einschnitt, den die Pandemie mit sich brachte, in Bewegtbildern zu reflektieren. Der französische Regisseur Bertrand Bonello hat sich dieser Aufgabe mit seinem neuen Film gestellt, und man kann ihm dabei zusehen, wie er nach passenden Darstellungsformen sucht: Animierte Barbiepuppen treffen auf eine Influencerin, Zoom-Gespräche auf Überwachungsbilder. All das verbindet sich zu einem Kaleidoskop, das die entgrenzte Wahrnehmungswelt eines Teenagermädchens widerspiegeln soll. Dieses gehört bekanntlich zu jener Personengruppe, die von den Auswirkungen der Corona-Krise besonders betroffen ist.

Das aufrichtige Pathos, mit dem sich Bonello zu Beginn an seine eigene Tochter wendet, verleiht Coma eine Dringlichkeit, die man auf der Berlinale nicht oft erlebt. Der Film bildet den Abschluss seiner Trilogie über die Jugend. Er malt sich die geschrumpfte Welt eines Millennials als uferlosen Raum aus: Beziehungsdramen können nahtlos in Trump’sche Männlichkeitsrituale oder bizarre Youtube-Tutorials übergehen. Das Resultat wirkt wie ein Psychotrip in David-Lynch-Manier, bei dem medialer Müll auf intime Wünsche prallt.

Teenager-Freundinnentrio

Coma versteht sich dabei jedoch als Aufforderung, mit neuer Kraft einen Wandel zu erzwingen. Ein interessantes Begleitstück dazu bildet das Debüt der Österreicherin Kurdwin Ayub. In Sonne geht es um ein Teenager-Freundinnentrio in Wien, dem man in lebensnaher, episodenhafter Art näherkommt. Ayub, selbst kurdischer Abstammung, kennt das Milieu merklich gut, der Film hat ein feines Ohr für den jugendlichen Sprachduktus.

In "Sonne" der Österreicherin Kurdwin Ayub suchen jungen Frauen in Wien nach eigenen Ausdrucksformen.
Foto: Berlinale

Wie in Coma sind die Bilderwelten der sozialen Medien integraler Bestandteil. Hier geben sie den jungen Frauen jedoch die Möglichkeit, sich von den Rollenbildern der Eltern ein Stück weit zu befreien und nach eigenen Ausdrucksformen zu suchen. Sie sind auf entspannte Art postidentitär, spielen mit Versatzstücken verschiedener Kulturen.

Tücken des Begehrens

Schnitt zu den Tücken des Begehrens einer älteren Generation in zwei weiteren bemerkenswerten Berlinale-Beiträgen: Claire Denis nähert sich in Avec amour et acharnement dem Dauerbrenner Beziehungsdrama in der Form eines verkappten Thrillers. Ohne Zurückhaltung, fast schamlos lotet sie Dynamiken eines Paares aus, das durch einen Eindringling, einen ehemaligen Geliebten, immer stärker in eine Vertrauenskrise schlittert.

Ruth Beckermann hat dagegen den Erotikklassiker um die "Wiener Dirne" Mutzenbacher für eine schlaue Versuchsanordnung genutzt. In einem Castingprozess lässt sie Männer Szenen aus dem Buch vorlesen und kommentieren, unweigerlich geben sie dabei viel über ihre Fantasien und Frauenbilder preis. Mutzenbacher gerät dabei immer mehr zu einem Film über bedrohte Männlichkeit, nicht wenige bedauern die überreglementierte Gegenwart. Das Performen vor der nur hörbaren Regisseurin hat natürlich selbst eine sexuelle Komponente – aus diesem Gefälle bezieht der Film viel hintergründigen Witz. (Dominik Kamalzadeh aus Berlin, 14.2.2022)