Es gibt wenige Schauspielerinnen, die das traditionelle Burgtheaterdeutsch beherrschen. Regina Fritsch gehört dazu.

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Gerade erst wurde sie für ihre schauspielerischen Leistungen mit dem Albin-Skoda-Ring ausgezeichnet. Die gebürtige Hollabrunnerin Regina Fritsch ist seit 37 Jahren Ensemblemitglied des Wiener Burgtheaters und wird besonders gern in typisch österreichischen Rollen besetzt. Die Videoversion dieses StandART-Gesprächs finden Sie hier.

STANDARD: Der berühmteste Satz aus Jean-Paul Sartres "Geschlossene Gesellschaft" lautet: "Die Hölle, das sind die anderen." Vor dem Hintergrund der Pandemie: Kennen Sie diesen Gedanken?

Fritsch: Nicht auf die Pandemie bezogen, aber allgemein empfinde ich schon seit längerem eine Art Lähmung oder Ausweglosigkeit, was Themen wie Umweltzerstörung oder Erderwärmung anbelangt.

STANDARD: Der Medientheoretiker Peter Weibel hat "Geschlossene Gesellschaft" als das Stück der Stunde bezeichnet.

Fritsch: Es spitzt sich vieles zu, und die Pandemie hat das noch einmal verstärkt. Wir sind mittlerweile einfach zu viele auf dieser Welt, zerstören unsere Lebensgrundlage. Sartre hat davon unabhängig eine philosophische Abhandlung geschrieben, die grundlegende existenzielle Fragen stellt: Was ist der Mensch? Wie kann er mit anderen zusammenleben? Wie kann er geläutert werden? Wir wissen, dass wir etwas ändern müssen, aber es passiert nichts.

STANDARD: Die Lähmung, von der Sie sprechen, hat auch das Burgtheater zu Anfang der Pandemie erfasst. Reflektieren Sie das in Ihrer Arbeit?

Fritsch: Ich habe die Pandemie als eine Art Aufatmen empfunden. Endlich durfte einmal etwas stillstehen! Ich habe nicht das Gefühl, dass ich als kreativer Mensch etwas verpasst habe. Wir hatten Bücher, Musik, die Kunst. Wir hatten uns!

STANDARD: Manche sagen, die Kultur werde sich nur langsam von dieser Zäsur erholen.

Fritsch: Ich finde diesen Gedanken überzogen, das waren gerade einmal zwei Jahre, die diese Pandemie gedauert hat. Natürlich ist die Pandemie wirtschaftlich eine Katastrophe, aber man soll doch nicht so tun, als hätten wir 20 Jahre Krieg wie in Afghanistan hinter uns. Der Zuschauer, der vor der Pandemie lieber auf dem Sofa gesessen hat, der wird auch danach wieder dort sitzen.

STANDARD: Sie sind 1985 als 20-Jährige ans Burgtheater gekommen. Gibt es heute diese Theaterleidenschaft von damals noch?

Fritsch: Nichts ist wie damals. Es wird immer ein Bedürfnis nach dem Liveerlebnis Theater geben, da mache ich mir keine Sorgen. Auffallend ist aber die Diversität, die am Theater drastisch zurückgegangen ist. Wir entwickeln uns zu Ikea-Menschen, durch die Globalisierung werden wir alle gleicher. So wie es in der Natur ein Artensterben gibt, gibt es am Theater ein Typensterben. Als ich am Burgtheater angefangen habe, gab es 170 Ensemblemitglieder, heute gibt es nur mehr 70. Schauspieler müssen sehr viele Rollentypen abdecken.

STANDARD: Aber gerade Direktor Martin Kušej hat sich doch Diversität auf die Fahnen geschrieben und so viele fremdsprachige Schauspieler wie noch nie engagiert.

Fritsch: Das ist ihm hoch anzurechnen, sprachlich zeichnet sich da eine interessante Entwicklung ab. Ich spreche aber von Typen, die verschwinden – übrigens nicht nur am Theater, auch im Leben wird die Vielfalt an eigenwilligen, interessanten, widerständigen Menschen immer kleiner.

STANDARD: Man hat das Gefühl, dass es für das Theater immer schwieriger wird, sich gesellschaftspolitisch zu behaupten.

Fritsch: Die Kraft, die ich selbst als 16-Jährige bei der Besetzung der Hainburger Au erlebt habe, die vermisse ich. Ich vermisse auch die Diskussionen, die Claus Peymann seinerzeit losgetreten hat. Das Theater schläft heute, ist vielleicht auch ohnmächtig angesichts dessen, was ich vorhin mit Gleichmacherei beschrieben habe. Man hat Angst vor Individualität, und das, obwohl uns anscheinend alles offen steht.

STANDARD: Hat sich Ihr Revoluzzertum auch je gegen das Theater und seine verkrusteten Strukturen gerichtet?

Fritsch: Ich kenne das Theater nur als nichtdemokratischen Betrieb und habe damit auch kein Problem. Die Schaubühne hat bereits in den 1980er-Jahren andere Strukturen versucht, ist letztlich aber daran gescheitert. Ich glaube sehr wohl, dass es jemanden braucht, der Entscheidungen trifft. Als Schauspieler ist man ein kleines Rädchen in einem großen Getriebe, das ist der Deal als Ensemblemitglied.

STANDARD: Sie gehören zur raren Spezies österreichischer Schauspieler am Burgtheater und werden gerne in typisch österreichischen Rollen besetzt. Verschwindet das Österreichische von den heimischen Bühnen?

Fritsch: Es gibt viele österreichische Schauspieler, man muss sie nur ans Haus holen. Aber auch hier verschwimmen die Grenzen, so wie die Gesellschaft wird auch das Burgensemble immer multikultureller. Früher war es undenkbar, dass man einen Nestroy mit bundesdeutschen Kollegen besetzt, heute ist das egal.

STANDARD: Ist es auch Ihnen egal?

Fritsch: Nein. Ich will nicht sagen, dass ein Nichtösterreicher das nicht genauso gut spielen könnte, aber es gibt einen sprachlichen Unterschied zwischen Österreich und Deutschland. Gewisse Dinge stören nicht, aber manche Sachen fehlen, würde ich diplomatisch formulieren.

STANDARD: Schwingt in Ihren Worten Kritik an der Programmatik und der Besetzungspolitik von Kušej mit?

Fritsch: Das möchte ich so nicht sagen, das Tolle an Kušej ist, dass er viele Nationalitäten ins Ensemble geholt hat. Ich persönlich kann nur sagen: Ich bin Österreicherin, und ich möchte deswegen nicht diskriminiert werden. Das habe ich auch schon erlebt. Zentral sollte die Frage sein: Ist dieser Schauspieler gut, ist er wahrhaftig? Darum geht es.

STANDARD: Das traditionelle Burgtheaterdeutsch ist oft alles andere als wahrhaftig. Sie als Paula-Wessely-Fan: War das nicht schon immer eine aus der Zeit gefallene Kunstsprache?

Fritsch: Nur die schlechte Version davon. Natürlich hatte Wessely eine eigene Sprachmelodie, aber diese war absolut wahrhaftig. Heute würde man sich einen solchen Tonfall nicht mehr trauen, da wäre zu viel Angst vor dem Eigenwilligen. (Stephan Hilpold, 14.2.2022)