Ein regelrechter Handel mit Steuergutschriften hat den italienischen Staat bisher rund 4,4 Milliarden Euro gekostet.

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Daniele Franco machte schon gar nicht den Versuch, den Skandal schönzureden. "Die Betrügereien gehören zu den größten, die diese Republik je gesehen hat", sagte der italienische Finanzminister, als er über den Milliarden-Beschiss zulasten der Staatskasse informierte. Der bisherige Schaden zulasten des Staates wird auf 4,4 Milliarden Euro beziffert. Und er könnte laut dem Chef der Steuerverwaltung, Ernesto Ruffini, weiter steigen. Ruffini sprach von einem "besorgniserregenden Gesamtbild".

Am Ursprung des Skandals steht der sogenannte "Super-Bonus 110". Er ermöglicht es Hauseigentümern, ihre Liegenschaften energetisch zu sanieren: Sie können die Fassade isolieren, Solarpaneele installieren, moderne Heizanlagen einbauen – zum Nulltarif. Die Rechnung übernimmt zu hundert Prozent der Staat in Form von Steuergutschriften. Sogar die Zinsen werden bis zum Umfang von zehn Prozent der Rechnungssumme getragen. Die Mega-Subvention war im Sommer 2020, mitten in der Corona-Pandemie, von der damaligen Regierung Conte beschlossen worden. Mit der Maßnahme sollten die Bauwirtschaft angekurbelt und gleichzeitig CO2-Emissionen gesenkt werden.

Handel mit Steuergutschriften

Der Haken an der Sache: Die Steuergutschriften, die sich die Hauseigentümer mit der Sanierung ihrer Immobilien erwerben, dürfen auch als Zahlungsmittel verwendet werden. Das heißt: Statt die ausführende Baufirma auf übliche Weise zu bezahlen, kann ein Bauherr seine Steuergutschrift an die Firma übertragen. Diese wiederum kann die Gutschrift an Dritte weiterverkaufen – laut Finanzminister Franco entstand ein regelrechter Handel, eine Art Parallelwährung. Die Betrügereien als solche waren relativ simpel: Es reichte, gegenüber dem Fiskus eine Gebäudesanierung geltend zu machen, die gar nie stattgefunden hat, und die Steuergutschriften ein paar Mal zwischen Strohmännern hin- und herzuschieben.

Knapp 40 Milliarden für Superbonus

Die Betrüger haben sich die Hände gerieben. "Es ist verrückt, man hat fast den Eindruck, dass der Fiskus geradezu will, dass man ihn übers Ohr haut", sagte einer der Kriminellen in einem von der Staatsanwaltschaft abgehörten Telefonat lachend zu seinem Komplizen. Ministerpräsident Mario Draghi, der die von seinem Vorgänger Giuseppe Conte beschlossene Maßnahme von Beginn an kritisch sah, räumt ein, dass "ein System aufgebaut wurde, das nur sehr wenige Kontrollen vorsieht". Draghi wollte die teure und betrugsanfällige Mega-Subvention eigentlich im Vorjahr auslaufen lassen. Er wurde aber von der Fünf-Sterne-Protestbewegung, die sich unter Conte für den Bonus besonders starkgemacht hatte, gestoppt. Zumindest sollen nun die Kontrollen verschärft werden.

Bisher hat der italienische Staat knapp 40 Milliarden Euro für den Bonus bereitgestellt. Zumindest indirekt zahlt die EU mit. Italien erhält aus dem Wiederaufbaufonds fast 14 Milliarden für die Steigerung der Energieeffizienz. Die Hälfte der 4,4 mutmaßlich illegal einkassierten Steuergutschriften hat die Finanzpolizei inzwischen wieder vorsorglich beschlagnahmt; große Summen sind aber laut dem Chef der Steuerverwaltung offenbar bereits ins Ausland transferiert worden.

Auch die Mafia hat profitiert

Neben den Betrügereien hat der "Super-Bonus" auch andere unerwünschte Nebenwirkungen. Die Aussicht für Millionen Hausbesitzer, die eigene Liegenschaft gratis renovieren lassen zu können, hat zu einer extremen Überhitzung in der Bauwirtschaft geführt. Und auch die Mafia profitiert. Der Kauf von Steuergutschriften sei ein formidables Instrument für die Clans, ihr dreckiges Geld zu waschen, betont der Anti-Mafia-Staatsanwalt Federico Cafiero de Raho. Seine Ermittler haben festgestellt, dass allein im Vorjahr 11.600 neue Bauunternehmen gegründet worden sind. "Wer wohl dahintersteckt?", fragt sich de Raho. (Dominik Straub aus Rom, 14.2.2022)