Seit 5. Februar herrscht Corona-Impfpflicht, Strafen sind aber noch nicht vorgesehen. Wie es weitergeht, ist noch unklar.

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Erst zahlreiche Landeshauptleute, dann der Regierungschef: Wer in den vergangenen Tagen heimische Medien konsumierte, dem konnte sich der Eindruck eines schleichenden Kurswechsels aufdrängen. Ein Politiker nach dem anderen schien von der Impfpflicht abzurücken.

Den letzten als Indiz aufgefassten Beitrag lieferte Karl Nehammer in einem am Sonntag veröffentlichten Interview. In der Kronen Zeitung erläuterte der Bundeskanzler, dass das Impfpflichtgesetz bald wieder Geschichte sein könnte, sofern es keine Notwendigkeit mehr dafür gebe. "Nehammer rückt von Impfpflicht ab", destillierte die Austria Presse Agentur, von der viele Medien grundlegende Informationen übernehmen, aus dem Gespräch.

Kanzlerbüro versteht Aufregung nicht

Hat der ÖVP-Chef also einen Schwenk hingelegt? Ob in der Krone oder etwas später im Ö1-Abendjournal: De facto wiederholte der Kanzler im Kern, was er schon vor einem Monat gesagt hatte und was auch im Gesetz festgeschrieben ist. Alle drei Monate soll eine neu geschaffene Kommission von Fachleuten bewerten, ob die Impfpflicht angesichts der Lage in der Pandemie noch ein angemessenes Mittel ist. Kommen die Expertinnen und Experten zu einem gegenteiligen Urteil, muss der Gesundheitsminister die Maßnahme – je nach Sachlage – teilweise oder völlig aufheben. Im Kanzleramt hält man "die große Aufregung" folglich für "nicht ganz verständlich", wie es aus Nehammers Büro heißt: "Das Gesetz hat genau diesen Vorgang vorgesehen."

Der Koalitionspartner argumentiert nicht anders. "Nehammers Aussagen zur Impfpflicht decken sich völlig mit der Position der Grünen", sagt Klubobfrau Sigrid Maurer, "da gibt es null Unterschied und kein Abrücken, sondern höchstens Fehlinterpretationen in den Medien." Die Regierung treffe ihre Entscheidungen auf Basis wissenschaftlicher Evidenz: Aufgrund des Kontrollmechanismus im Gesetz werde laufend evaluiert, ob die Impflicht noch notwendig und verhältnismäßig ist.

Länder wünschen sich Milde

Auch die Länderchefs argumentieren teilweise analog zum Gesetz, indem sie eine Überprüfung fordern. Mancher geht aber doch einen Schritt weiter. Die Landeshauptmänner Thomas Stelzer (Oberösterreich) und Markus Wallner (Vorarlberg) stellten infrage, ob es in der Phase drei des Impflicht-Stufenplans – sofern je in Kraft – wirklich automatisch Strafen brauche. Der Salzburger Wilfried Haslauer, ebenfalls ÖVP, verweist zwar auf die geplante Kommission, von der er sich noch vor dem Start von Phase zwei am 16. März – Gelegenheitskontrollen der Polizei – eine erste Evaluierung erhofft. Das gewünschte Ergebnis nimmt er aber quasi vorweg: Eine Impfpflicht "auf Verdacht für ein ungewisses und unvorhersehbares Ereignis im Herbst zu erlassen", argumentierte Haslauer in der Kleinen Zeitung, sei problematisch.

Verwirrendes Durcheinander

Angesichts derartiger Zurufe stelle sich die Frage, wie unabhängig die neue Kommission tatsächlich entscheiden könne, gibt Julia Partheymüller zu bedenken. Die Politologin ist Teil des Austrian Corona Panel Project, das pandemiebedingte Stimmungslagen erforscht. Schon vor einem Jahr hielten demnach nur 28 Prozent der Befragten die Entscheidungen der Regierung in der Corona-Krise für nachvollziehbar. Aktuelle Daten liegen keine vor, doch Partheymüller wagt die Einschätzung, "dass sich das wohl kaum gebessert hat". Verwirrend sei das Durcheinander der Argumente in der Impfpflichtdebatte.

Dazu trägt womöglich auch bei, dass jene Kommission, auf die sich alle berufen, noch gar nicht existiert. Wann die vier bis sechs medizinischen und juristischen Fachleute feststehen? In den nächsten Tagen, verspricht das Kanzleramt. Die erste Lagebeurteilung sei dann in zwei bis drei Wochen zu erwarten. (Gerald John, Gudrun Springer, 14.2.2022)