Sie machen keine Demos, doch ihre Bedürfnisse müssen trotzdem endlich wahrgenommen werden: Familien mit vulnerablen Kindern oder Eltern.

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Man muss die Ängste und Sorgen der Leute ernst nehmen. So lautet ein politisches Credo.

Doch nach zwei Jahren Corona-Pandemie kann man zu dem Schluss kommen: Wer am lautesten schreit, wird gehört. Wer sich still und voller Mühsal zu Hause zu arrangieren versucht, wird vollends vergessen.

"Das Elend ist groß", fasste es die Wiener Patienten- und Pflegeanwältin Sigrid Pilz am Sonntagabend bei einem Livetalk auf Twitter zusammen. Sie meinte damit nicht Kinder, die unter Masken und Kontaktbeschränkungen litten, schon gar nicht die neuen Freiheitskämpfer und "Querdenker", die sich von jeder Maßnahme persönlich belästigt und beleidigt fühlen. Pilz sprach über das Leid von Familien, die seit zwei Jahren um das bangen, was ihnen am liebsten ist: ihre Kinder, ihre Partnerinnen und Partner, ihre Geschwister oder ihre Eltern. Ja, auch unter Kindern gibt es viele tausende, die aufgrund einer Vorerkrankung vulnerabel sind. Sie scheinen aber unter dem Radar der Politik und öffentlichen Wahrnehmung zu fliegen. Ja, es gibt nicht nur ältere Menschen in Pflegeheimen, für die auch geimpft Omikron nicht so leicht zu packen wäre, sondern Eltern, die arbeiten, Kinder erziehen, die aber durch eine Corona-Infektion ernste gesundheitliche Probleme bekommen würden.

Sicherer Raum gesucht

Zigtausende solcher Menschen haben sich unter dem Begriff "Schattenfamilien" in Deutschland und Österreich zusammengetan und versuchen gemeinsam mit Initiativen wie "Bildung, aber sicher", einen sicheren Raum in der Gesellschaft für sich einzuklagen. In sozialen Meiden werden sie gerne als "hysterisch" verunglimpft, ohne dass man ihre Krankengeschichte kennt, oder man wirft ihnen vor, alle einsperren zu wollen.

Die Regierung hat diesen Familien gegenüber eine Verantwortung. Die Schattenfamilien sind keine Splittergruppe. Auch wenn diese Bevölkerungsgruppe nicht laut demonstrierend jedes Wochenende Innenstädte im ganzen Land lahmlegt, hat sie große Sorgen – und die werden nicht ausreichend ernst genommen. Wenn man jetzt das ganze Land wieder aufsperrt, muss man sich auch Lösungen für jene überlegen, die weiterhin Familienmitglieder mit Hochrisiko schützen müssen. Wie sind die betroffenen Kinder zu unterrichten? Wie kann man Arbeitnehmer schützen, die im Homeoffice bleiben wollen, und wie jene finanziell unterstützen, für die ein Homeoffice gar nicht infrage kommt?

Sozialdarwinismus hat in einer menschenwürdigen Demokratie nichts verloren. Die Schwächsten in der Gesellschaft dürfen nicht im Stich gelassen werden. Der Satz "Es trifft eh nur die Kranken" hat sich bei vielen von ihnen schmerzlich eingebrannt. Wenn sie nach der Pandemie jemals wieder Vertrauen in die Gesellschaft und die Regierung haben sollen, muss jetzt gehandelt werden. (Colette M. Schmidt, 15.2.2022)