Wie ausgesperrt von der restlichen Gesellschaft fühlen sich viele Familien, deren Kinder noch nicht geimpft werden können oder trotz Impfung durch Vorerkrankungen besonders vulnerabel sind – auch noch bei der Omikron-Variante.

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Während sich die einen in Österreich gerade über Lockerungen freuen, verharren andere "in Schockstarre", wie es eine Mutter im Gespräch mit dem STANDARD beschreibt. Seit Beginn der Pandemie bangt sie um ihre 13-jährige Tochter, die mit einer massiv unterentwickelten Lunge geboren wurde und unter Lungenhochdruck leidet. Bei Belastung fällt ihre Sauerstoffsättigung im Blut sofort unter 90 Prozent. Corona wäre für sie lebensgefährlich. Das Mädchen hat drei Geschwister. Die Familie versucht seit zwei Jahren, das Mädchen vor einer Infektion zu schützen.

Tausende im Twitter-Space

Die Mutter war am Sonntagabend eine von über 8.000 Teilnehmenden einer Gesprächsrunde im Live-Twitter-Space der Politologin Natascha Strobl, wo sich sogenannte Schattenfamilien austauschten. So bezeichnen sich Familien, bei denen Kinder oder Eltern trotz Impfung und der milderen Omikron-Variante ein hohes Risiko haben, im Spital oder sogar auf der Intensivstation zu landen. Am Montag hatten sich die aufgezeichnete Veranstaltung schon über 25.000 Menschen angehört.

Seit 2020 war die erwähnte 13-Jährige fünf Wochen in der Schule. Da sie jetzt geboostert ist, hatten die Eltern überlegt, sie nach den Semesterferien wieder in die Schule zu lassen. "Wenn jetzt die Masken fallen, fällt das flach", sagt die Mutter. Auch ein Wegfall von Gratistests würde die oberösterreichische Familie finanziell schwer treffen. "Wir wollen doch nicht, dass alle eingesperrt werden", so die verzweifelte Frau, "aber warum schafft die Regierung keine Möglichkeit für gefährdete Kinder, zu Hause virtuell unterrichtet zu werden? Und warum schützt man Eltern nicht, die den Job verlieren, weil sie wegen vorerkrankter Kinder zu Hause arbeiten müssen?"

Ein deutscher Lehrer und Vater, der an dem Twitter-Space teilnahm, ist arbeitslos, weil er sein Hochrisikokind zu Hause nicht anstecken wollte. Auch in Deutschland tun sich zigtausende "Schattenfamilien" zusammen, weil sie sich von der Politik vergessen fühlen. Die oberösterreichische Mutter versteht nicht, warum man "nicht Plattformen schafft, wo zum Beispiel Lehrerinnen mit Risiko Kinder mit Risiko online unterrichten können".

Keine lauten Demos

"Wir sind ja nicht abgelöst von der restlichen Gesellschaft, wir gehören dazu", betont eine weitere Mutter im STANDARD-Gespräch. Ihre zweijährige Tochter kam mit Herzfehler zur Welt, wurde operiert und lag deshalb im Koma auf der Intensivstation. "Wir wollen das nie mehr erleben müssen", sagt sie. Klar sei: "Leute wie wir machen keine lauten Demos, weil wir Angst haben, uns anzustecken."

Auch die Wiener Patientenanwältin Sigrid Pilz nahm an dem Twitter-Talk teil. "Es ist nicht zu akzeptieren, dass es Privatsache ist, ob man mit seinem vorerkrankten Kind gut durch die Pandemie steuert", sagt Pilz, die kritisiert, dass der Schutz vulnerabler Kinder vom "Narrativ zu schützender Intensivstationen und Pflegeheime" verdrängt wurde. Zudem werde der Schutz dieser Kinder sogar als "Gegenteil von Kinderschutz" dargestellt, weil es in Diskussionen nur um geschlossene Schulen und Kindergärten gehe. (Colette M. Schmidt, 15.2.2022)