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Welchen Nutzen Standardisierte Deutschprüfungen beim Integrationsprozess tatsächlich haben, steht diese Woche im Zentrum einer Tagung.

Foto: Picturedesk.com / SZ-Photo / Becker & Bredel

Aus Drittstaaten eingewanderte Menschen müssen, sofern sie in Österreich länger leben möchten, rasch beweisen, dass sie der deutschen Sprache mächtig sind. Das verordnet die 2003 abgesegnete Integrationsvereinbarung. Zu diesem Zweck besteht seit längerem ein Standardisiertes System von Kursen und entsprechenden Prüfungen, die das Erlernte abfragen. Aber ist diese Verfahrensweise tatsächlich gerecht oder zumindest effizient?

Wissenschafterinnen und Wissenschafter haben da bereits seit längerem ihre Zweifel. So sagt die Sprachforscherin Verena Plutzar vom Netzwerk Sprachenrechte: "Was wir beobachten, ist, dass es in Bezug auf das Messen, Bewerten und Prüfen von Deutsch als Zweitsprache eine arge Diskrepanz zwischen dem gibt, was die Forschung sagt, und dem, was die Politik macht."

Es gibt in dieser Sache also Diskussionsbedarf: Die Kommunikationswissenschafterin hat mit ihrem Team daher eine Onlinetagung organisiert, auf der in den nächsten Tagen Forscherinnen und Bildungspraktiker aus dem ganzen deutschsprachigen Raum das bestehende Testsystem kritisch reflektieren wollen. Die Konferenz wird in Kooperation mit der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems, wo Plutzar auch selbst tätig ist, dem Institut für Sprachenwissenschaft der Universität Wien und dem Österreichischen Verband für Deutsch als Fremdsprache und Zweitsprache (ÖDaF) veranstaltet.

Kontraproduktiver Druck

Laut Plutzar spielt seit 2003 die "Kompetenzfeststellung" der deutschen Sprache in Form von Prüfungen als Zugangsregelungsinstrument eine große Rolle in allerlei Bereichen. Von Aufenthaltsrechten bis zum Zugang zur Staatsbürgerschaft werde vor allem über die einheitliche Abprüfung der Deutschkenntnisse entschieden.

Seit der Einführung der Deutschförderklassen im Schuljahr 2018/19 betrifft das zudem nicht nur Erwachsene, sondern ebenfalls junge Menschen: Solche Tests entscheiden schließlich nun auch darüber, ob Migrantenkinder in den Regelunterricht kommen dürfen oder ob sie gesonderte Klassen besuchen müssen. Der dadurch erzeugte Druck, die eigene Muttersprache abzulegen, sei aber kontraproduktiv: "Die Forschung, die wir haben, zeigt ganz klar, dass Kinder, die mit ihren mitgebrachten Sprachen positiv und neugierig umgehen, sich besser im Deutschen entwickeln als jene Kinder, die das nicht tun."

Kein aussagekräftiges Urteil

Somit ist man für Plutzar bei Kindern wie Erwachsenen mit den derzeitigen Einheitsprüfungen auf dem Holzweg: "Diese bildungspolitische Praxis der Sprachtestungen steht in einem klaren Gegensatz zu dem, was wir aus der Sprach-, Lehr- und Lernforschung kennen." Die bange Frage, die auch auf der Tagung gestellt wird, lautet: Sind diese Einheitsprüfungen tatsächlich in der Lage, Deutschkompetenzen abzubilden? Ob jemand in diesen Sprachprüfungen brilliere oder versage, sei laut Plutzar nämlich noch kein aussagekräftiges Urteil.

Gute Deutschkenntnisse sind keine zwingende Voraussetzung dafür, dass sich Menschen in die österreichische Gesellschaft einfügen, betont Plutzar: "Integrations- und Bildungsprozesse werden begleitet von der Entwicklung der Deutschkenntnisse. Und das kann nicht losgelöst voneinander sein, sondern muss gemeinsam stattfinden. Deutschkurse können im besten Fall einen Aneignungsprozess unterstützen. Aber die Sprachaneignung findet vor allem im wirklichen Leben statt."

Fokussierung auf Prüfung

Daher müssen Rahmenbedingungen und Möglichkeiten geschaffen werden, die den Spracherwerb insgesamt unterstützen. Durch die aktuelle Fokussierung auf Prüfungserfolge werde dieses eigentliche Ziel nicht erreicht.

Wenn eine Deutschprüfung positiv absolviert wird, werden damit noch nicht automatisch die zur Integration individuell notwendigen Sprachkenntnisse erworben: "Es wird übersehen, dass Sprache ganz unterschiedliche Ebenen umfasst, vielfältige Funktionen im Leben eines Menschen hat und damit die Sprachkompetenzfeststellung immer nur einen kleinen Ausschnitt von dem abbilden kann, wozu ein Mensch – auch sprachlich – in der Lage ist", sagt Plutzar.

Und das sei derzeit das wesentliche Problem des bestehenden Testsystems: Die eingesetzten Instrumente taugen nicht dazu, die Sprachkenntnisse eines einzelnen Menschen abzubilden. Diese partiellen Tests bewerteten nicht, ob die Sprachkenntnisse, auf die es für den jeweiligen Menschen tatsächlich ankomme, vorhanden seien. Es gebe keine Übereinstimmung zwischen dem, was generell geprüft werde, und dem, was man einzeln könne und brauche.

Vielfalt versus Einheitsprüfung

Die Prüfungsansprüche orientieren sich nun einmal an einem allgemein definierten Sprachniveau, aber nicht differenziert nach den unterschiedlichen Herausforderungen, vor denen die oder der jeweilige Integrationswillige steht: "Bei Einheitsprüfungen wird übersehen, dass Menschen Sprache in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen gebrauchen. Diese Vielfalt müsste sich in einem differenzierten Lern- und Prüfungsangebot spiegeln, damit die entsprechenden persönlichen Ambitionen auch berücksichtigt werden können", sagt Plutzar.

So müsse man sich beim Unterricht sowie bei der Testung des Sprachvermögens viel häufiger fragen: Was möchte jemand hier in Österreich überhaupt werden? Und bekanntlich ist hierzulande Deutsch nicht gleich Deutsch. So verweist Plutzar auf die verschiedenen Dialekte. Ob jemand in Wien oder in Vorarlberg leben möchte, sei im Hinblick auf eine für das soziale Umfeld adäquate Sprachprüfung ein gewaltiger Unterschied. Dieser Kulturtransfer ist schließlich häufig bereits für Einheimische, wenn sie das Bundesland wechseln, eine Herausforderung. (Johannes Lau, 16.2.2022)