Aktivisten enthüllen ein Transparent von Amnesty International während einer Demonstration.

Foto: AFP/OSCAR DEL POZO

Mekelle / Addis Abeba – Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat die Rebellengruppe TPLF in Äthiopien erneut der vorsätzlichen Tötung von Zivilisten sowie der Vergewaltigung von Minderjährigen beschuldigt. Für den am Mittwoch vorgelegten Bericht befragte Amnesty laut eigenen Angaben 30 Überlebende der Gewalt in zwei Städten in der Region Amhara im Norden Äthiopiens. Fast die Hälfte der Opfer sprach demnach von Gruppenvergewaltigungen durch Kämpfer der TPLF.

Die TPLF hatte im vergangenen August und September die Kontrolle in den Städten Chenna und Kobo übernommen und danach die Zivilbevölkerung angegriffen. Ärzte berichteten den Menschenrechtlern, dass Verletzungen darauf hinwiesen, dass bei einigen Vergewaltigungen Bajonette verwendet wurden.

Dokumentation bereits letzten November

Bereits im vergangenen November hatte Amnesty sexuelle Übergriffe durch TPLF-Kämpfer in der Stadt Nifas Mewcha in Amhara dokumentiert. "Die Beweise häufen sich, dass die tigrayanischen Streitkräfte seit Juli 2021 in den von ihnen kontrollierten Gebieten in der Amhara-Region Kriegsverbrechen und möglicherweise Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben", erklärte die stellvertretende Direktorin von Amnesty für Ostafrika, Sarah Jackson.

Einwohner von Kobo berichteten demnach, TPLF-Kämpfer hätten unbewaffnete Zivilisten erschossen. Es könnte sich um Racheaktionen für Widerstand durch Amhara-Milizen gehandelt haben. Ein Zeuge sprach von mehr als 20 Leichen auf einem Schulgelände mit Schusswunden im Hinterkopf oder Rücken. Amnesty fand auf Satellitenbildern dazu passende frische Gräber.

Keine Stellungnahme der TPLF

Die TPLF äußerte sich laut Amnesty nicht zu den jüngsten Vorwürfen. Die Rebellengruppe hatte die Menschenrechtler jedoch bereits für ihren früheren Bericht über Gräueltaten in Nifas Mewcha kritisiert und erklärt, sie werde eine eigene Untersuchung durchführen und die Täter vor Gericht bringen.

Amnesty hat auch die Vergewaltigung hunderter Frauen und Mädchen durch äthiopische und eritreische Soldaten in der Region Tigray dokumentiert. Der bewaffnete Konflikt zwischen der Regierung in Addis Abeba und der TPLF hatte im November 2020 mit einer Offensive der Regierungstruppen in der Unruheregion Tigray begonnen. Im Jahr 2021 weiteten sich die Kämpfe auf die Nachbarregionen Afar und Amhara aus. Zwischenzeitlich waren die Rebellen in Richtung der Hauptstadt vorgedrungen.

Hochburg Tigray

Ende Dezember zog sich die TPLF nach einer weiteren Militäroffensive der Regierung in ihre Hochburg Tigray zurück. Das nährte die Hoffnung auf eine Befriedung des Konflikts. Die TPLF warf der Regierung jedoch immer wieder tödliche Drohnenangriffe vor. Ende Jänner gab sie bekannt, dass sie die Kämpfe in der Region Afar wiederaufgenommen habe, nachdem regierungstreue Streitkräfte erneut ihre Stellungen angegriffen hätten.

Seit Beginn der Kämpfe wurden nach UN-Angaben tausende Menschen getötet und mehr als zwei Millionen in die Flucht getrieben. Hunderttausenden Äthiopiern droht eine Hungersnot. Die Uno wirft allen Konfliktparteien schwere Menschenrechtsverletzungen vor. (APA, 16.2.2022)