Der frühere Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble (CDU) ist einer der Gesprächspartner für Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) bei seinem Berlin-Besuch.

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Berlin/Wien – Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) sieht die jüngsten Entwicklungen rund um die Ukraine zurückhaltend. Moskau sende "gemischte Signale", betonte Schallenberg am Mittwoch vor seinem ersten Arbeitsgespräch mit der deutschen Amtskollegin Annalena Baerbock (Grüne) in Berlin. Einerseits gebe es die Aufforderung des russischen Parlaments an Präsident Wladimir Putin, die Separatistenrepubliken im ukrainischen Donbass anzuerkennen, andererseits den beginnenden Abbau russischer Manöver. "Wir müssen sehr vorsichtig sein."

Schallenberg sprach von einer "Situation der Nagelprobe für die Diplomatie". In dieser Frage gebe es einen "Paarlauf zwischen Österreich und Deutschland". Beide Länder versuchten, europäische Einigkeit herzustellen. "Putin hat es geschafft, dass der Westen geeint ist wie noch selten" zuvor, betonte der Außenminister.

"Finnlandisierung" für Schallenberg kein Thema

Sollte es zu einem Militärschlag von russischer Seite gegen die Ukraine kommen, liege an Sanktionen "alles am Tisch" – "uneingeschränkt", sagte er und meinte auch die umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2, an deren Finanzierung die OMV beteiligt ist. Österreichs Ansinnen seien Sanktionen, die "nicht als Bumerang auf uns zurückfallen". Österreich sei "exponiert", wirtschaftlich sowohl in der Ukraine als auch in Russland präsent. Sanktionen sollten Moskau treffen, "aber wir bremsen nicht".

Auf die Frage einer möglichen Neutralität der Ukraine zeigte sich Schallenberg skeptisch: Eine Neutralität oder "Finnlandisierung der Ukraine" sei in Kiew "kein Thema". Jeder Staat müsse seinen Sicherheitsstatus selbst definieren. "Neutralität kann man nicht von außen aufoktroyieren."

Transitverkehr als "tickende Zeitbombe"

Schallenberg trifft in Berlin außerdem den früheren Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble (CDU), Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) sowie den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag und früheren Europastaatssekretär Michael Roth (SPD). Mit Wissing will er über den Transitverkehr sprechen, kündigte Schallenberg an. Es sei "eine offene Wunde" und eine "tickende Zeitbombe", wenn über Tirol mehr Lkw-Verkehr laufe als über alle anderen Alpentransitrouten gemeinsam. Nun sei es Zeit, Taten in Sachen Zufahrtsstraßen zu setzen und bauliche Maßnahmen zu treffen. "Wenn der Transit von Verona nach München fast halb so viel kostet wie über die Schweiz, sollte es unser gemeinsames Interesse sein, dass man hier vorankommt."

Auch ein Gespräch mit dem Hohen Repräsentanten für Bosnien-Herzegowina, Christian Schmidt, ist bei der eintägigen Reise geplant. Der Westbalkan sei eine Region, wo Österreich mit Deutschland eng zusammenarbeite und wo es "die nächsten Konfliktlinien geben könnte", so Schallenberg. "Wenn es eine Gegend gibt, wo Europa geeint auftreten muss, ist es dort."

Schallenberg betonte, dass Deutschland Österreichs größter Wirtschaftspartner sei. Das Handelsvolumen habe die 100-Milliarden-Euro-"Schallmauer" durchbrochen. Deutsche seien die größte Ausländergruppe in Österreich. "Uns verbindet sehr viel." (APA, 16.2.2022)