Die Reaktionen auf die Veröffentlichungen der geheimen Nebenvereinbarungen zwischen ÖVP und FPÖ von 2017 sowie ÖVP und Grünen von 2020 bieten eine erstaunliche Bandbreite. Diese reicht von schriller Empörung bis zu radikaler Verniedlichung, die teilweise sogar den sich in den Verträgen offenbarenden Postenschacher als gute Sache hinstellt.

Den diesbezüglichen Vogel schoss der schon als wackerer Kämpfer gegen linkslinke Zeitgeist-Phänomene wie Regenbogen-Fahnen und Korruptionsstaatsanwaltschaften auffällig gewordene Rudolf Mitlöhner im Kurier ab. Der glaubensfeste Evangelist des heiligen Sebastian (Buch Salomon) reagierte auf Karl Nehammers Ankündigung, künftig auf geheime Job-Deals verzichten zu wollen, mit einer Warnung: Diese neue Transparenz wäre ein "unter dem Druck der veröffentlichten Meinung" begangener schwerer Fehler, mit dem man "bei ÖVP-Anhängern freilich fast alles verliert".

Was ließ Sebastian Kurz zum Informationsfreiheitsaktivisten mutieren?
Foto: Heribert CORN

Ein gewagter Gedankengang, der ÖVP-Anhängern unterstellt, sie hielten Postenschacher für schützenswertes Brauchtum. Dass sämtliche Volkspartei-Fans davon ausgehen, von diesem Brauchtum persönlich zu profitieren, scheint angesichts von bei der vergangenen Nationalratswahl gezählten 1.789.417 Job-Anwärtern schon allein logistisch nicht bewältigbar. Warum sollten sie also so ein großes Problem mit Transparenz haben, zumal der türkis-grüne Sideletter doch von Sebastian Kurz geleakt wurde?

Informationsfreiheitsaktivist

In diesem Zusammenhang lohnt es, sich genauer anzuschauen, was den Ex-Kanzler zum Informationsfreiheitsaktivisten mutieren ließ. Es war der Wunsch nach Ablenkung von dem unmittelbar zuvor bekanntgewordenen geheimen Nebenvertrag zwischen ÖVP und FPÖ von 2017. Ein Schriftstück, dessen bloße Erwähnung Kurz schon bei seiner Beschuldigteneinvernahme in der Causa "Verdacht auf strafbare Falschaussage vor dem U-Ausschuss" in höchste Unruhe versetzte. Just als Richter und Staatsanwalt von ihm wissen wollten, ob die besagte Nebenvereinbarung "eine mündliche oder schriftliche Vereinbarung ist, ob sie auch unterschrieben ist, wer das mit wem vereinbart hat, und ob die noch verfügbar ist, weil das natürlich ein wesentliches Beweismittel wäre", verweigerte er die Antwort und brach die Befragung mit den denkwürdigen Worten "Das funktioniert nicht so gut zwischen uns" ab.

Eine durchaus nachvollziehbare Reaktion, denn in der von Kurz und Heinz-Christian Strache unterzeichneten Vereinbarung heißt es zum Thema Öbag: "Der Vorstand der Beteiligungsgesellschaft wird durch die ÖVP nominiert. Der Aufsichtsrat der Beteiligungsgesellschaft wird durch die ÖVP nominiert." Das steht nicht nur im eklatanten Widerspruch zum Aktiengesetz, sondern auch zu Aussagen von Kurz vor dem U-Ausschuss. Von einem "wesentlichen Beweismittel" ist hier also definitiv zu Recht die Rede, man könnte sogar von einer "smoking gun" sprechen. Ob sich deren Rauchentwicklung durch das Zünden von Nebelgranaten dauerhaft verbergen lässt, scheint zweifelhaft.

Durch eine möglicherweise bald von der Justiz transparent gemachte Vergangenheit könnte die ÖVP jedenfalls auch bei ihren Anhängern deutlich mehr verlieren als durch künftige Transparenz. (Florian Scheuba, 17.2.2022)