An enthüllten Skandalen mangelt es auch dem neuen Jahr nicht. Obwohl es erst sechs Wochen alt ist, produzierte 2022 schon fast genug Stoff für einen weiteren U-Ausschuss: Mit Berichten über Postenkorruption und andere Interventionen, aber auch mit publik gewordenen Ermittlungen gegen eine Gruppe von Verfassungsschützern, die auf die schiefe Bahn geraten waren. Die beiden Sachverhalte hängen eng miteinander zusammen: Die Chats aus dem Innenministerium, die dieses endgültig als Selbstbedienungsladen der ÖVP entlarven, wurden von genau jenen unter schwerwiegendem Verdacht stehenden Kreis an Beamten nach außen gespielt.

Die ÖVP-Zentrale in Wien.
Foto: imago images/Viennareport

Es sind zwei Seiten derselben Medaille: Die ÖVP-nahe Führungsspitze im Innenministerium agierte schamlos, was Karrierewege von Parteifreunden betrifft; auch die inhaltliche Schwerpunktsetzung richtete sich mehr nach dem, was die ÖVP politisch brauchte, als nach dem, was für die Republik nötig war. Das dürfte dazu beigetragen haben, dass eine Clique an Beamten mit mutmaßlich illegalen Mitteln dagegen putschen wollte: durch Desinformationskampagnen und Anschwärzungen. Die aus eigener Sicht unfaire Behandlung wollte man wettmachen, indem offenbar aus Profitgier Staatsgeheimnisse verkauft wurden.

Das ist insgesamt skandalös. Als Beobachter kann man nur staunend vor dem Trümmerhaufen Innenministerium stehen. Aber Parteien und politische Agitatoren, die sich als Journalisten ausgeben, versuchen sofort, nur eine Seite der Geschichte geltend zu machen. Die Chats? Nicht inhaltlich problematisch, sondern "gestohlen". Die Aufdeckungen über dubiose Ex-Verfassungsschützer? Eine Retourkutsche der ÖVP, um von den Chats abzulenken. Lassen wir uns nicht verblöden: Sachverhalte sind komplex; Ablenkungsmanöver durchschaubar. So einfach kann sich keine Seite aus der Affäre ziehen. (Fabian Schmid, 17.2.2022)