Hurra, der Krieg fällt aus! Der von Washington für Mittwoch angekündigte russische Einmarsch in die Ukraine wurde abgeblasen. "Nichts Ungewöhnliches, alles ruhig an der Grenze", konstatierte der ukrainische Verteidigungsminister Olexi Resnikow.

Die Entspannung der sich seit Herbst stetig zuspitzenden Situation hatte sich erst Anfang der Woche angedeutet. Zunächst hatte der russische Außenminister Sergej Lawrow seinem Vorgesetzten Wladimir Putin empfohlen, weiter zu verhandeln, dann hatte sein Kollege, Verteidigungsminister Sergej Schoigu, das baldige Ende der Militärmanöver nahe der ukrainischen Grenze angekündigt. Und seit Dienstag ziehen tatsächlich die ersten russischen Truppen aus der Region ab.

Die Differenzen zwischen Russland und der Ukraine bzw. dem Westen sind nicht gelöst.
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Über die Gründe des Abzugs wird nun ebenso eifrig spekuliert wie zuvor über die Gründe des schon als feststehend geltenden Angriffs. Dass die ausführliche Berichterstattung und vor allem die aus den USA abgegebenen Prognosen zum zeitlichen Beginn der Offensive diese am Ende verhindert haben, darf bezweifelt werden. Ebenso allerdings die russische Version, dass es sich um Routinemanöver der russischen Streitkräfte gehandelt habe, die nun nach ihrem Ende wieder in ihre Garnisonen zurückkehren.

Tatsächlich sind die über 100.000 Soldaten, die Russland an seiner Grenze aufgefahren hat, als Drohkulisse aufgebaut worden, um eigene Forderungen durchzusetzen. Daher ist ein kurzes Durchatmen erlaubt, ein entspanntes Zurücklehnen aber nicht. Denn das Problem bleibt bestehen: Die Differenzen zwischen Russland und der Ukraine bzw. dem Westen sind nicht gelöst. Lawrow hat zwar recht, wenn er sagt, die Verhandlungsmöglichkeiten seien "längst noch nicht ausgeschöpft", doch für den offensichtlich größten Gegensatz – die Nato-Option der Ukraine – ist keine Lösung in Sicht.

Rotes Tuch

Es ist gut, dass beide Seiten bereit sind, über die Stationierung von Raketen – mit oder ohne Atomsprengköpfe – in Europa zu verhandeln. Für Russland ist der geplante US-Raketenschild in Osteuropa seit Jahren ein rotes Tuch, weil Moskau damit das strategische Gleichgewicht und somit seine eigene Sicherheit gefährdet sieht. Kommt es hier zu einer Einigung, kann dies die Sicherheit in Europa deutlich stärken.

Auch bei Abrüstungsverträgen und der Stärkung der militärischen Transparenz gibt es Hoffnung auf eine Absprache. Doch noch knüpft Moskau dies untrennbar an ein Vetorecht für den Nato-Beitritt der Ukraine, während der Westen ebenso stur auf der "Politik der offenen Tür" besteht.

Wird in dieser Frage kein Kompromiss gefunden, ist der Truppenabzug der Russen wohl allenfalls befristet. Spätestens im Herbst steht dann das nächste große Militärmanöver an und setzt die Welt erneut unter Strom, wieder werden die Menschen bangen, ob Putin ab- oder durchzieht.

Nötig ist ein Konzept, das allen Menschen in Europa Sicherheit gewährt. Dazu gehört aber auch, dass der Kreml künftig auf Erpressungsmethoden verzichtet. (André Ballin, 16.2.2022)