In Sachen Corona lehnt sich Österreichs Regierung weit hinaus. Ab 5. März braucht es im Handel keine Masken mehr, von Supermärkten, Apotheken und Post abgesehen. Schon ab kommendem Wochenende muss man, um ins Gasthaus zu gehen, in acht von neun Bundesländern kein Impf- oder Genesenenzertifikat mehr vorzeigen. Auch die pandemiebedingte Sperrstunde endet, was ein Öffnen der Nachtgastronomie ermöglicht.

Das Land bereitet sich also aufs Aufmachen vor, just an einem Tag mit besonders hohen Infektionszahlen – nur Wien bleibt etwas vorsichtiger. Doch die 38.256 neuen Corona-Fälle von Dienstag auf Mittwoch sind laut Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein für den künftigen Umgang mit der Pandemie nicht relevant. Man habe das Omikron-Plateau erreicht, von nun an dürfte es mit den Inzidenzen hinuntergehen, sagte er bei der Regierungspressekonferenz.

Ab kommendem Wochenende muss man, um ins Gasthaus zu gehen, in acht von neun Bundesländern kein Impf- oder Genesenenzertifikat mehr vorzeigen.
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Fachleute widersprechen: Über den Berg sei Österreich noch nicht, die Öffnungen kämen zu rasch und gingen zu weit. Doch ihre Stimmen wurden nicht gehört.

Tatsächlich sind die Neuerungen in ihrer Massivität überraschend. Österreich nähert sich damit Corona-politisch Staaten wie Dänemark, Norwegen oder auch Großbritannien an, die sämtliche Maßnahmen gestrichen haben. Dieser Vergleich macht aber nicht sicher. Das Risiko, dass die Zahlen hierzulande wieder nach oben schnellen, ist größer, denn Österreich weist eine um einiges geringere Impf- und Genesenenrate auf.

Tiefgreifendere Maßnahmen

Unangekündigt kommen diese Schritte nicht. Wer in den Tagen vor dem Gipfel die Meldungslage, vor allem in den heimischen Boulevardmedien, studierte, konnte sogar noch tiefgreifendere Maßnahmen erwarten. Selbst der Impfpflicht, erst vor 14 Tagen in Kraft getreten, drohte das rasche Aus. Aus den westlichen Bundesländern kam die passende Begleitmusik dazu.

Das Ganze gipfelte im fragwürdigen Begriff eines "Freedom Day", der das Ende kollektiver Bemühungen, vor dem Virus zu schützen, pauschal mit mehr Freiheit gleichsetzt. Das ist falsch gedacht. Keine Masken und keine Zertifikate mehr mag viele freuen. Für andere jedoch stellt es eine neue Härte dar, denn mit dem Ende von Maßnahmen verschwindet das Virus nicht. Wer also in hohem Alter oder auch immunsupprimiert ist und im Fall einer Infektion trotz vollständiger Impfung eine schwere Erkrankung befürchten muss, wird künftig noch vorsichtiger als bisher sein müssen. Für ihn oder sie wird die persönliche Freiheit kleiner.

Unklar ist außerdem, wie nachhaltig das politisch beschlossene Ende der akuten Corona-Phase sein wird. Laut fast allen Fachleuten, die sich mit der Beschaffenheit, Änderungsfähigkeit, Infektiosität und Verbreitung des Erregers beschäftigen, ist der künftige Verlauf der Pandemie heute ungewisser denn je. Niemand weiß, wie sich das Coronavirus, das schon von der Delta- zur Omikron-Variante einen unvorhergesehenen Mutationssprung vollzogen hat, weiterentwickeln wird. Was uns im kommenden Herbst dräut, ist damit unabsehbar.

Das wissen auch die Mitglieder der beratenden Gesamtstaatlichen Krisenkoordination Gecko. Sie haben damit nicht hinter dem Berg gehalten und vorsichtig vor zu hohem Öffnungstempo gewarnt. Die Politik hat ihre Expertise großteils ignoriert. Hoffen wir, dass das gutgeht. (Irene Brickner, 16.2.2022)