Mitte März tummeln sich hier üblicherweise 280.000 Besucher. Zum dritten Mal bleiben die Leipziger Messehallen heuer wegen Corona leer.

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Interviews waren ausgemacht, Lesungen terminisiert. Zum dritten Mal in Folge gibt die Leipziger Buchmesse vor Corona w. o. Vor einer Woche haben die Veranstalter mit der Begründung abgesagt, viele Aussteller sähen sich "aufgrund der Unwägbarkeiten der Pandemie aktuell nicht in der Lage, für eine solch große Publikumsveranstaltung zuverlässig zu planen".

Das Bedauern darüber machte aber bald Ärger Platz.

Was war geschehen? Schuld an der Leipziger Absage seien große Konzernverlage wie Penguin Random House, Holtzbrinck, Bonnier und Oetinger, die ihre Messestände in letzter Minute storniert hätten, hieß es. Lange habe man von den Ausstellern viel positives Feedback bekommen, erklärte die Buchmesse. Anfang Februar gab das Land Sachsen sein Okay zu dem Event. Doch dann sprangen die Ersten ab. Kleiner zu dimensionieren war zu diesem Zeitpunkt keine Option mehr.

Mittlerweile stellte Buchmesse-Chef Oliver Zille klar, dass es nicht nur Verlagsriesen waren, die abgesagt hätten, sondern auch kleinere Verlage. Da war aber schon die Vermutung in der Welt, die Big Player hätten per Absage austesten wollen, wie groß ihr Einfluss sei.

Kosten und Nutzen

Vielleicht wollten sie Leipzig sogar den Garaus machen, wird spekuliert. Denn ein Auftritt auf einer Buchmesse kostet, zugleich sei der Nutzen für Großverlage, die etablierte Autoren im Programm führen und sich Öffentlichkeit dank ihrer Marktmacht leicht selbst schaffen können, nicht sehr groß. Geringer jedenfalls als für kleine und mittlere Häuser, die im täglichen Geschäft schwerer Aufmerksamkeit bekommen. Zwar sind auch für sie Stände teuer, doch erreichen sie so eine ihnen schwer zugängliche Masse. Sie ärgern sich nun über die Großen.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Branche in den zwei bisherigen Krisenjahren überraschend gut bilanzierte. Und das ganz ohne Messen. Die Umsätze in Deutschland wuchsen leicht, das Buch habe sich "krisenfest" gezeigt. Braucht es die vielbeschworene Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit, die Messen generieren sollen, für den Umsatz gar nicht mehr? Das fragen sich seither manche.

Zwar hat etwa Penguin Random House mittlerweile verkündet, dass man an der Leipziger Messe "als einem der zentralen Ereignisse des Bücherjahres" weiter "festhalten werde". "Haltlos" sei die Vermutung, große Verlage hätten die Messe kippen wollen. Doch der Geist ist aus der Flasche. Die Diskussion tobt inzwischen grundsätzlicher und reißt alte Wunden auf.

Umgang mit der Ex-DDR

Die Aufregung hat einen historischen Aspekt. Nach der Wiedervereinigung stand die Frage, wozu es neben Frankfurt eine zweite deutsche Buchmesse brauche, schon einmal im Raum. Politisch galt es, die Ex-DDR dem Westen gleichzustellen – auch mit eigener Buchmesse. Jüngst errechnete die Süddeutsche Zeitung jedoch, dass deutsche Verlage im strukturschwachen Osten nur noch zehn Prozent ihres Umsatzes lukrieren. Da lohne sich der Messeaufwand nicht. Was heißt das als Signal an liberale und intellektuelle Kräfte im Osten?

Fragt man bei heimischen Autoren nach, herrschen Empörung und Bedauern. Die IG Autorinnen Autoren sprach von einer "Katastrophe". Die Messe sei für die österreichischen Autoren "unverzichtbar", legte man per offenen Brief nach. 2023 wird Österreich Gastland in Leipzig sein, alle Beteiligten halten daran fest.

Die Autoren trauern weniger aus wirtschaftlichem Kalkül. Ist der Effekt von Buchmessen auf Verkäufe groß? Davon weiß Schriftstellerin Anna Baar nichts. Ihr Verlag sagt Ja. Im Umfeld der letzten Buch Wien und der Frankfurter Buchmesse habe man von der Autorin "mehr als doppelt so viele Bücher ausgeliefert" als sonst. So geht es vielen Autoren, die nicht die Bestsellerlisten anführen. Aber lohnen sich dafür Aufwand und Risiko?

"Wichtige Plattform"

"Gerade für eine Autorin wie mich, die erst einen Roman veröffentlicht hat, ist eine Messe eine wichtige Plattform, um seine Arbeit vorzustellen", sagt Marie Gamillscheg (30). "Natürlich" wäre sie nach Leipzig gefahren. Zwei Interviews und zwei Lesungen waren ausgemacht, viel ergebe sich erst vor Ort.

Beide Autorinnen legen in den kommenden Wochen neue Bücher vor, ebenso Reinhard Kaiser-Mühlecker. Er reist nicht nach Leipzig, ist generell skeptisch. "Auf Buchmessen muss jede Bühne bespielt sein, man ist nur Teil einer Maschinerie. Für mich sind Lesungen wichtiger, zu denen Leute extra kommen, weil sie an mir interessiert sind." Auch beim Verlag habe er heuer ein Messe-Zaudern bemerkt.

Für alle ist der soziale Aspekt von Messen wichtig, "weil Schreiben ohnehin ein zurückgezogenes Leben mit sich bringt", sagt Baar. "Ich habe das Gefühl, die großen Verlage machen es sich bequem. Das Lohnende der Literatur wird nur in Geld bemessen. Verlage müssen aber Verantwortung gegenüber Autoren und der Gesellschaft wahrnehmen." Alles andere sei pflichtvergessen. (Michael Wurmitzer, 17.2.2022)