Prinz Andrew zahlte viel, um nicht reden zu müssen.

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Die Geschichte von Virginia Giuffre erzählt so ziemlich alles noch einmal, wovon vor über vier Jahren durch #MeToo endlich die ganze Welt erfuhr. Über das System hinter sexualisierter Gewalt gegenüber Frauen, über die Machtdynamiken, die dieses System aufrechterhalten. Im Fall der außergerichtlichen Einigung zwischen Giuffre und Prinz Andrew, dem die heute 38-Jährige vorwirft, sie als Minderjährige vergewaltigt zu haben, bekommen wir dieses System wieder vorexerziert.

Ein System, in dem reiche Männer inklusive millionenschwerer Familien im Hintergrund den Vorwürfen mit enorm viel Geld begegnen können. Ein Umfeld, dass sich lachend auf zahllosen Partyfotos den Tätern an den Hals wirft, mächtige Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen und zu denen aufgeschaut wird. Die teils giftigen Reaktionen auf die Stimmen von Betroffenen und die vermeintlichen Lösungen. Es ist ein vielschichtiger Skandal, bei dem es sich lohnt, diese Schichten nochmal genauer anzusehen – eben weil es kein Einzelfall ist, weil es in der Vergangenheit passiert, weil es höchst wahrscheinlich genau jetzt passiert und auch noch in Zukunft ein Problem sein wird.

Das Umfeld

Die Vorwürfe gegen Prinz Andrew wurden im Kontext des organisierten Frauen- und Mädchenhandels von Jeffrey Epstein und seiner Komplizin Ghislaine Maxwell erhoben. Zur Erinnerung, was hier los war: Epstein soll hunderte Kinder und Jugendliche zur Prostitution gezwungen und einen Ring für Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung betrieben haben. Er selbst soll zahllose Minderjährige vergewaltigt und Frauen misshandelt haben.

Die Vorwürfe reichen bis in die frühen 1990er zurück. In all den Jahren haben sich zig Politiker:innen, Prominente bis hin zu berühmten Harvard-Absolventen und eben auch Monarchen auf Partyfotos an den Multimillionär gekuschelt. Sie wollen freilich von all dem nichts mitbekommen haben. Ja, es ist ein plumpe Feststellung, aber halt wahr: Geld macht sakrosankt. Das sehen Täter, das sehen Opfer, das sehen Umstehende: dass andere nicht eingreifen, einfach nichts tun, sondern lächeln.

Der Umfang mit Opfern

Obwohl es ein derart plumpes Geschlechterklischee ist, funktioniert es noch immer bestens: Dem Opfer gehe es nur ums Geld, denn warum rückt es denn erst jetzt – viele Jahre später – damit raus? Nun, alle, die derartige Fragen stellen, finden die Antwort genau in diesen Fragen, die eigentlich nur rhetorische sind: weil Betroffene als Lügnerinnen hingestellt werden.

Opfern wird doch nicht mehr vorgeworfen, nicht direkt von der Vergewaltigung zur Polizei zu marschieren? Wer in diverse Online-Foren zu diversen Sexualdelikten schaut, wird eines Besseren belehrt. Und wer mit "Warum so spät?" kommt, dem fehlt es außerdem gänzlich an Vorstellungskraft, was es heißt, in seinem intimsten Lebensbereich Gewalt erlebt zu haben. Erst recht, was es heißt, damit umzugehen, während Täter fröhlich mit Bill Gates, Bill Clinton, Donald Trump oder einem Harvard-Staranwalt wie Alan Dershowitz in die Kameras lachen.

Dershowitz sagte auch mal: Epstein kennenzulernen "war das Schlimmste, was mir je zugestoßen ist." Er kämpfe um seinen Ruf, um seine Reputation. Ein ruinierter Ruf also, ja – muss schlimm sein. Aber im Kontext des Epstein-Falls mit vielen hunderten Opfern und wohl tausenden Vergewaltigungen vom " Schlimmsten" zu sprechen? Hierfür ist unpassend wohl ein Hilfsausdruck.

Die Lösung

Und die vermeintliche Lösung? Das, was jetzt den aktuellen Fall um Prinz Andrew zumindest juristisch beendet? Das ist ebenso kein gutes Zeichen dafür, dass die gewaltbegünstigenden Strukturen bröckeln. Wer zahlen kann, muss nicht unter Eid aussagen.

Übrigens sollten wir uns hüten, Virginia Giuffre und anderen Betroffenen vorzuwerfen, dass sie sich auf außergerichtliche Einigungen mit vielen Millionen einlassen. Sie konnten sich bisher in den allermeisten Fällen mit Geld keinen Frieden und keine Sicherheit erkaufen. Keinen Schutz davor, nicht darüber reden zu müssen, was passiert ist. So wie es jetzt Prinz Andrew tut. Virginia Giuffre und andere haben auch schon geredet – und das ist ihnen hoch anzurechnen. Sie haben ihren Beitrag geleistet – während so viele andere fleißig daran arbeiten, dass sich nichts ändert. (Beate Hausbichler, 17.2.2022)