Die Spiralgalaxie Messier 77 liegt rund 47 Millionen Lichtjahre entfernt. Das gefräßige supermassive Schwarze Loch in ihrem Zentrum sorgt für enorme Energieausbrüche.
Foto: ESO

Obwohl ihre Bezeichnung nach gewaltigem kosmischem Bombast klingt, erweisen sich supermassereiche Schwarze Löcher bei näherem Hinsehen als fast schon enttäuschend klein: Sagittarius A*, das Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße, vereint die Massen von 4,3 Millionen Sonnen in sich – und doch würde es, an die Stelle der Sonne gesetzt, nicht einmal bis zur Merkurbahn reichen. Was ein supermassereiches Schwarzes Loch scheinbar an Größe vermissen lässt, wird durch seine gewaltigen Gravitationskräfte aber mehr als wettgemacht.

Ist genug Materie zum Verschlingen da, wird das galaktische Schwerkraftzentrum zu einer Energieschleuder gigantischen Ausmaßes – die Wissenschaft spricht von einem aktiven Galaxienkern (Active Galactic Nuclei, AGN). In dieser Region entsteht bei der Interaktion zwischen Materie und Schwarzem Loch mehr Strahlung, als alle übrigen Sterne der Galaxie zusammen abgeben. Und das auf kleinstem Raum: Der Großteil der Ereignisse spielt sich in einer Region ab, die kaum größer ist als unser Sonnensystem. Das macht es Astronomen sehr schwer, dort genauer hinzusehen.

Sehr genau hingesehen

Hinzu kommt, dass das supermassive Schwarze Loch Staub und Gase kräftig umherwirbelt, was die spannendsten Vorgänge hinter dichten Schleiern verschwinden lässt. Dennoch ist einem internationalen Team ein einzigartig scharfer Blick in eine solche kosmische Hexenküche gelungen. Ziel der Beobachtungen war die große Spiralgalaxie Messier 77 (M77, auch bekannt als NGC 1068) in rund 47 Millionen Lichtjahren Entfernung. Die nun im Fachjournal "Nature" präsentierten Ergebnisse bestätigen nicht nur rund 30 Jahre alte Vorhersagen, sondern liefern auch neue Einblicke in die Mechanismen hinter aktiven galaktischen Kernen.

Rechts ist der aktive Kern von M77 zu sehen, aufgenommen mit dem Instrument Matisse am Very Large Telescope Interferometer der ESO.
Foto: ESO/Jaffe, Gámez-Rosas et al.

Bisherige Beobachtungen hatten gezeigt, dass es verschiedene Arten von AGNs gibt. Einige leuchten hell im sichtbaren Licht, bei anderen wiederum, wie M77, erscheint die Leuchtkraft im optischen Lichtspektrum eher unterdrückt. Ein vereinheitlichendes Modell besagt nun, dass aktive Galaxienkerne trotz spektraler Unterschiede dieselbe Grundstruktur aufweisen: ein supermassereiches Schwarzes Loch, das von einem dicken Ring aus Staub umgeben ist. Etwaige Varianten im Erscheinungsbild seien auf die Ausrichtung im Raum zurückzuführen, unter der wir das jeweilige System von der Erde aus betrachten.

Matisse machts möglich

Eine Gruppe um Violeta Gámez Rosas von der Universität Leiden (Niederlande) konnte nun das Vereinheitlichte Modell mit spektakulären Aufnahmen untermauern: Beobachtungen mit dem Very Large Telescope Interferometer (VLTI) der Europäischen Südsternwarte (ESO) enthüllten im Zentrum der Galaxie M77 bei Infrarot-Wellenlängen von drei bis zwölf Mikrometern einen dicken Ring aus kosmischem Staub und Gas von mehreren Lichtjahren Dicke.

Diese Illustration zeigt, wie die Kernregion Messier 77 aussehen könnte: Ein supermassereiches Schwarzes Loch, umgeben von einer dünnen Akkretionsscheibe, die wiederum von einem dicken Ring oder Torus aus Gas und Staub umhüllt ist. Man nimmt an, dass dem Kern Materiejets und Staubwinde senkrecht zur Akkretionsscheibe ausströmen.
Illustr.: ESO/M. Kornmesser and L. Calçada

Ermöglicht wurden die Beobachtungen durch das Multi Aperture Mid-Infrared Spectroscopic Experiment (Matisse) am VLTI. Das Instrument kombiniert Infrarotlicht von allen vier 8,2-Meter-Teleskopen des Very Large Telescope (VLT). "Dadurch sind wir in der Lage, ein breites Spektrum an Infrarot-Wellenlängen zu erfassen, wodurch wir durch den Staub hindurchsehen und die Temperaturen genau messen können", sagt Koautor Walter Jaffe von der Universität Leiden. "Die Bilder, die wir erhalten haben, zeigen detailliert die Temperatur- und Absorptionsveränderungen der Staubwolken um das Schwarze Loch."

Einzelbeobachtung

Dahinter steckt auch hochkomplexe Datenverarbeitung: Durch die Kartierung der Temperaturveränderungen der Materie entstand ein verblüffend detailliertes Bild der näheren Umgebung des Schwarzen Lochs. Der Staub ballt sich demnach in Form eines dicken inneren Rings um das Schwarze Loch. "Die tatsächliche Natur der Staubwolken und ihre Rolle bei der Fütterung des Schwarzen Lochs sowie bei der Bestimmung ihres Erscheinungsbilds von der Erde aus waren in den letzten drei Jahrzehnten zentrale Fragen bei der Erforschung von AGNs", sagt Gámez Rosas. "Obwohl kein einzelnes Beobachtungsergebnis alle Fragen klären kann, haben wir einen wichtigen Schritt auf dem Weg zum Verständnis der Funktionsweise von AGNs gemacht." (tberg, red, 17.2.2022)