Im Vorfeld einer Corona-Demonstration in Wien, wurden entlang der Route Protestplakate angebracht.

Foto: Markus Sulzbacher

Als eine Gruppe weiß gekleideter Personen tanzend, singend und trommelnd eine Corona-Demonstration in Wien zeitweise anführte, rieben sich nicht nur anwesende Journalistinnen und Journalisten staunend die Augen. Es war ein reichlich bizarrer Aufzug – hinter dem noch dazu der Block der rechtsextremen Identitären marschierte. Was auf den ersten Blick verwunderlich erschien, passt aber zusammen.

Anhängerinnen und Anhänger von Esoterik und Rechtsextreme sind durch "gemeinsame Feindbilder in Bezug auf Politik, Medien und Wissenschaft" vereint, sagt Katharina Nocun, die Autorin des Buchs "True Facts: Was gegen Verschwörungserzählungen wirklich hilft". So teilen sich beide Gruppen etwa die "Great Reset"-Verschwörungserzählung, wonach "globale Eliten" mit Hilfe der Corona-Pandemie angeblich eine neue Weltordnung durchsetzen wollten, Medien werden als von "oben" kontrolliert und als Feinde betrachtet. Beide Gruppen gehen davon aus, dass die Pandemie von Personen wie Bill Gates gesteuert werde.

Antisemitismus, Rassismus und Sozialdarwinismus

Esoterikerinnen und Esoteriker sind keine Neonazis, aber in ihren Reihen sind Antisemitismus, Rassismus und Sozialdarwinismus ebenso zu finden wie eine lange Tradition von Impfverweigerung und absurde Rassentheorien. So meinte Rudolf Steiner (1861-1925), der Erfinder der "Anthroposophie" und Gründer der Waldorfschulen, Epidemien seien auf "niedere Rassen", wie die "mongolische Rasse", "Negerseelen" und ihre teuflischen "Lügendämonen" zurückzuführen.

Nocun betont, dass "in der Esoterikszene Verschwörungserzählungen zum Thema Medizin und Wissenschaft auch vor der Pandemie schon weit verbreitet" waren. "Da heißt es etwa, man solle lieber esoterischen Heilern vertrauen, da Medizin und Wissenschaft insgeheim von einer bösartigen "Pharmalobby" gesteuert werden würden. Menschen, die auf esoterische Pseudoheilverfahren vertrauen, glauben auch eher an Verschwörungserzählungen", sagt Nocun. Sekten würden "Verschwörungserzählungen zudem oft nutzen, um Menschen gezielt von ihrer Umwelt zu isolieren, schließlich gehe mit diesem Weltbild auch eine Haltung nach dem Motto "du kannst niemandem vertrauen außer uns" einher.

Magie oder Homöopathie

Dazu passt, dass Zugehörige zur esoterischen Szene schon bei den ersten Corona-Demonstrationen im Frühjahr 2020 in Wien mit dabei waren, wo sie vehement gegen Impfungen auftraten – zu einer Zeit, als es noch gar keine Impfungen gegen das Coronavirus gab. Nocun: "In einigen Esoterikmilieus wird verbreitet, Impfungen seien schädlich, weil beispielsweise Magie oder Homöopathie bei geimpften Menschen nicht mehr richtig wirken könne. Anhänger der Germanischen Neuen Medizin verbreiten seit Jahren die Lüge, Impfungen seien Teil einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung".

Ein Galgen und die Forderung nach spiritueller Freiheit bei einer Corona-Demonstration in Jänner dieses Jahres in Wien.
Foto: Markus Sulzbacher

Oft werde eine ablehnende Haltung gegen Impfungen mit der Vorstellung verbunden, alles "künstlich geschaffene" oder "chemische" sei unnatürlich und damit schlecht. "Das ist natürlich absurd, da auch in der Natur zahlreiche Gifte existieren und Tabletten mit einem synthetischen Wirkstoff oft tatsächlich die "sanftere" Alternative sind. Eine Corona-Infektion mag natürlich sein, sanfter oder besser für den Körper ist sie allerdings sicherlich nicht", sagt die Buchautorin. Auch werden "Halbwahrheiten aus der Medizin mit einem magischen Denken vermischt, was zu einer vollkommen überzogenen Vorstellung führt, was beispielsweise das eigene Immunsystem tatsächlich leisten kann – und was nicht. In diesen Milieus kursiert etwa der Mythos, das Immunsystem reiche als Schutz vollkommen aus, oder positive Gedanken könnten eine Erkrankung verhindern".

"Gesunder Menschenverstand" statt Wissenschaft

Wie sehr esoterische, spirituelle und wissenschaftsfeindliche Weltbilder unter den vielen Gegnerinnen und Gegnern der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie verbreitet sind, hat die Universität Wien für eine Studie untersucht. Demnach stimmen nicht nur 54 Prozent der Unterstützerinnen und Unterstützer von Corona-Demonstrationen der Aussage zu, dass wir uns "mehr auf den gesunden Menschenverstand und weniger auf wissenschaftliche Studien verlassen sollten", sondern 60 Prozent der Protestierenden glauben auch an ein Leben nach dem Tod. Bei jenen Befragten, die die Demonstrationen ablehnen, liegt der Anteil an Personen mit einem solchen spirituellen Glauben bei 40 Prozent.

Ein vergleichbares Bild zeigt sich beim Glauben an die pseudowissenschaftliche Behandlungsmethode Homöopathie. Genau genommen glauben etwa 60 Prozent der Befragten an Homöopathie. Bei jenen, die die Demonstrationen nicht unterstützen, glauben 43 Prozent daran, während 49 Prozent Homöopathie eher ablehnen.

"Der Glaube an Pseudomedizin ist der Einstieg in den Ausstieg vom rationalen Denken", erklärt der Journalist und "Anthroposophie"-Experte Oliver Rautenberg. Er beobachtet auch, dass sich die Milieus von Pseudomedizin und Rechtsextremismus sich besonders auf Social Media vermischen: Es gibt einen Austausch und eine Vernetzung zwischen der extremen Rechten und der Bewegung gegen Impfstoffe und für sogenannte "alternative Medizin".

"Nippies in die Klangschalen scheißen"

Als treffsichere Kritikerin der Esoterikszene hat sich die Schriftstellerin Stefanie Sargnagel einen Namen gemacht.

Die Rede von Stefanie Sargnagel
Renate Sassmann

Mit dem Spruch "Nippies in die Klangschalen scheißen" machte sich Sargnagel in ihrer Rede bei einer antifaschistischen Demonstration in Wien über die Teilnahme von Anhängerinnen und Anhängern von Esoterik und deren Schulterschluss mit Rechtsextremen bei den Protesten gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie lustig. "Nippies" steht dabei für "Nazi-Hippies". (Markus Sulzbacher, 20.2.2022)