Ahnen nicht, was sie in ihrer Freizeit außerhalb des Büros machen: Adam Scott und Britt Lower in "Severance".

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Vor dem Bildschirm in "Severance" (von links): Zach Cherry, Britt Lower und John Turturro.

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Arbeiten am "Severance Floor" (von links): Tramell Tillman, Zach Cherry, John Turturro, Britt Lower und Adam Scott.

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Wurde am Arbeitsplatz verletzt: Adam Scott als Mark Scout in "Severance".

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Es passiert immer im Aufzug. Nur ein leichtes Zucken der Augenlider verrät, dass sich auf den letzten Metern zum Arbeitsplatz etwas Gravierendes ändert. Wer auf dem "Severance Floor" von Lumon Industries arbeitet, verfügt im Büro über keinerlei Erinnerungen an sein privates Ich. Umgekehrt wissen die Angestellten außerhalb der Firma nicht, was sie am Arbeitsplatz machen. Die Trennung zwischen beruflichem Ich, dem "Innie", und Privatperson, dem "Outtie", scheint vollkommen, aller Ballast gekappt.

Gesteuerte Erinnerungen

Die Verwirklichung einer vermeintlich vollkommenen Work-Life-Balance wird in der großteils von Ben Stiller inszenierten Workplace-Thriller-Serie Severance, zu sehen auf Apple TV+, an ihr schauriges Ende gedacht. Adam Scott (Big Little Lies) verkörpert in neun Folgen Mark Scout, den Leiter einer kryptisch "Macrodata Refinement" benannten Abteilung, der sich wie seine Kollegenschaft der "Severance"-Prozedur unterziehen musste. Dabei wird ein Implantat eingesetzt, das die Erinnerungen abhängig vom Aufenthaltsort macht.

Von Scott mit feinen Nuancen dargestellt, ist dieser Angestellte weder Held noch Feigling, sondern ein komplexer Durchschnittsmensch. Es ist der Verlust eines geliebten Menschen, den der melancholische Privatmann, der früher ausgerechnet Geschichtsprofessor war, mit der Abspaltung seiner Arbeitskraft zu lindern versucht. Dass der eine nicht weiß, was der jeweils andere tut und erinnert, verspricht zunächst Heil, sorgt aber für Komplikationen. Er verstünde es, wie seltsam es ist, normal zu sein, hat Regisseur und Koproduzent Ben Stiller seinem Hauptdarsteller und mehrmaligen Schauspielpartner Adam Scott zu Recht Rosen gestreut.

Wenn sich der brave Angestellte in Severance dann doch gegen den Raub seiner privaten Biografie auflehnt, dann wegen der Empathie für eine smarte, neue Mitarbeiterin (Britt Lower), die sich just nicht in die für sie vorgesehene Rolle fügen will. Wegen eines mysteriösen Kollegen auf der Flucht dämmert es schließlich auch dem Privatmann, dass er es möglicherweise mit einem Konzern zu tun hat, der ein dunkles Geheimnis verbirgt. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die Serie, in der es um einen Tech-Konzern mit ausgeprägtem Personenkult geht, ausgerechnet unter dem Dach von Apple erscheint.

Arquette, Turturro, Walken

Was Severance zum von der Dystopie uneingeschränkten Vergnügen macht, ist nicht zuletzt ein großartiges Ensemble. Patricia Arquette als undurchsichtige Vorgesetzte, John Turturro als angepasster Soldat der Arbeit, Zach Cherry als gute Seele im Pelz eines Zynikers und Christopher Walken als introvertierter Kunstliebhaber entspinnen glaubwürdig eine Dynamik, wie sie an vielen Arbeitsplätzen zu finden ist. Severance ist keine Komödie, aber es mangelt der Serie nicht an Humor und satirischen Elementen.

Trailer zu "Severance".
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Sinnentleerte Phrasen, jeglicher Individualität beraubte Arbeitsplätze, verwaiste Großraumbüros, undurchsichtige Arbeitsprozesse, absurde Rituale und Scheingratifikationen: So kafkaesk und enfremdet die Arbeitswelt in Severance auch sein mag, so wiedererkennbar bleibt sie doch. Der Science-Fiction-Faktor beschränkt sich auf den Erinnerungschip, der ein Gedankenexperiment erlaubt, das aktuelle Entwicklungen der Arbeitswelt an die Oberfläche spült. Selten hat übrigens Retrodesign, bei dem trotz avancierter Technologie Röhrenbildschirme den Ton angeben, so zeitlos und so unheimlich gewirkt.

Corona-Pandemie

Natürlich eröffnet auch die Corona-Pandemie der Serie, deren Herstellung wegen Corona-Fällen immer wieder verzögert wurde, neue Resonanzräume. Schließlich hat das verbreitete Dasein im Homeoffice die Diskussion über die Trennung von Arbeits- und Privatsphäre verschärft. Stiller und sein Team haben all diese Elemente in einer kluger Thrillererzählung eingefangen, deren Spannung sich schleichend aufbaut, nie nachlässt, zum Staffelende hin geradezu unerträglich und von einem Cliffhanger-Ende nur teilweise aufgelöst wird. Nebenbei wirft Severance jede Menge Fragen auf, seien sie ethischer, ökonomischer oder sozialer Natur. Zumindest eines ist zum vorläufigen Schluss klar: dass es sich nämlich immer lohnt, für eine möglichst vollständige Version von sich selbst einzutreten, sei es am Arbeitsplatz oder anderswo. (Karl Gedlicka, 18.2.2022)