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Yogi Adityanath zeigt sich in seinem Helikopter vor Publikum siegessicher.

Foto: AP/Rajesh Kumar Singh

Es waren vielleicht zwei Dutzend junger Männer, die Anfang der Woche geschlossen im Dharma Samaj College aufkreuzten, in Aligarh im Norden Indiens. Sie alle trugen einen orangen Schal um den Hals und übergaben dem Direktor der Schule ein Dokument: Darin forderten sie ein komplettes Verbot des muslimischen Hijabs an der Schule. Bekannt waren die Männer dem Direktor nicht, sie waren offensichtlich nicht Studierende.

Seit rund zwei Wochen wird das umstrittene Thema in Indien politisch ausgeschlachtet: Kopftuch am Campus, ja oder nein? Im Lichte einiger wichtiger Regionalwahlen Indiens gingen mancherorts die Wogen hoch.

Dabei hat der Disput um das Kopftuch eigentlich in Karnataka begonnen, im Süden Indiens, wo gar nicht gewählt wird. Dort wurden sogar kurzzeitig die Schulen geschlossen, nachdem es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen hinduistischen und muslimischen Schülern gekommen war. Auslöser war eine neue Regel an einigen Schulen, die das Tragen des Hijabs in Klassenzimmern verbietet. Vorwiegend muslimische Schülerinnen protestierten dagegen, vorwiegend rechte hinduistische Männer dafür. Der Bundesstaat wird von der hindunationalistischen BJP regiert, der auch der indische Regierungschef Narendra Modi angehört.

Zunehmende Spannungen

Seitdem die BJP-Regierung unter Modi das Steuer in Indien in der Hand hat, orten Kritiker und Kritikerinnen eine Zunahme der Spannungen zwischen der Hindu-Mehrheit und der muslimischen Minderheit im Land. Muslime, die etwa 13 Prozent der Bevölkerung Indiens ausmachen, fühlen sich marginalisiert, Hindus würden – so der Vorwurf – systematisch bevorzugt. Vor allem während Wahlen würden BJP-Politiker Spannungen anheizen.

Auch in Kolkata demonstrieren muslimische Frauen für ihr Recht, einen Hijab in Schulen zu tragen.
Foto: imago images/Eyepix Group

Auf dem riesigen Subkontinent finden gerade Wahlen in fünf der 29 Bundesstaaten statt: im so wichtigen Uttar Pradesh, im Punjab, in Uttarakhand, in Goa und in Manipur. Während Uttar Pradesh, Goa und Uttarakhand schon begonnen haben, darf die Bevölkerung im Punjab ab 20. Februar und in Manipur ab 27. Februar an die Urnen. Bis 10. März sollen alle Wahlgänge abgeschlossen sein.

In fast all diesen Bundesstaaten sitzt die BJP an den Hebeln der Macht. Nur im Punjab regiert die Kongress-Partei. Unter Rahul Gandhi fällt es der ehemaligen Traditionspartei schwer, sich aus der Oppositionsrolle zu befreien und zu alter Größe zurückzufinden.

Umstrittene Reformen

Aber nicht nur für Rahul Gandhi, auch für Modi steht viel auf dem Spiel. 2024 finden wieder Bundeswahlen am Subkontinent statt. Bereits zum dritten Mal in Folge will die BJP dann die Wahlen gewinnen. 2014 wurde sie ja stimmenstärkste Partei, 2019 konnte sie ihren Vorsprung – entgegen vielen Erwartungen – sogar ausbauen. Mit einer bequemen Mehrheit konnte die Partei viele umstrittene Reformen durchsetzen, so zum Beispiel den Entzug der Autonomierechte Kaschmirs.

Erst eine höchst umstrittene Agrarreform brachte den starken Mann Indiens erstmals zum Einknicken. Nach fast einem Jahr an Bauernprotesten sah sich Modi im vergangenen November gezwungen, die eiligst verabschiedete Reform wieder zurückzunehmen.

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Auch Narendra Modi winkt tatkräftig bei einer Wahlkampfveranstaltung in Kasganj mit. Ein Sieg von Adityanath ist für ihn ebenso wichtig wie für den Yogi.
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Es war die erste größere Niederlage in der ansonsten nach außen so reibungslos wirkenden Karriere als Premierminister. Die Wahlen in den fünf Bundesstaaten werden daher als wichtiger Stimmungstest im ganzen Land gesehen. Rahul Verma vom Thinktank Centre for Policy Research in Delhi nannte die aktuellen Wahlen ein "Semifinale", wobei "das Spiel in 2024 wieder sehr, sehr anders" sein werde. Auch die Corona-Pandemie und hohe Arbeitslosigkeit bringen die erfolgsverwöhnte BJP seit Monaten in Bedrängnis.

Schlüsselstaat Uttar Pradesh

Vor allem der bevölkerungsreiche Bundesstaat Uttar Pradesh gilt als Schlüsselstaat. Dort regiert der Mönch und Hindu-Hardliner Yogi Adithyanath, der immer wieder als möglicher Nachfolger Modis gehandelt wird. Seine Chancen, wieder Chief Minister in dem Bundesstaat im Norden zu werden, stehen laut Umfragen gut. Aktuell geht er mit seiner "erfolgreichen Recht-und-Ordnung-Politik" im Wahlvolk hausieren. Er habe erfolgreich Gangster, Mafia oder Korruption bekämpft – ganz unabhängig von ihrer Kaste oder Religion, wie er in einem Gespräch mit Reuters betonte.

Kritiker sehen das anders: Seine Hardliner-Politik bevorzuge systematisch Hindus, seine aggressive Rhetorik würde immer wieder "die kommunale Gewalt", also Gewalt zwischen Hindus und Muslime, anstacheln.

Logistische Herausforderung

Für viele Beobachterinnen und Beobachter ist es daher kein Zufall, dass gerade jetzt die Krise um das Kopftuch an indischen Schulen aufflammt – und auch in Uttar Pradesh angekommen ist. Von solch hitziger Stimmung kann die BJP-Partei im Zweifel profitieren.

Auch in Uttarakhand kann die BJP laut Umfragen auf einen Wahlsieg hoffen. In Manipur könnte es ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der Kongress-Partei geben. In Goa will wiederum die regionale Aam-Aadmi-Partei – eigentlich bekannt aus Delhi – Fuß fassen. Der Punjab wird wohl in den Händen der Kongress-Partei bleiben, allerdings könnte hier Aam Aadmi oder andere regionale Parteien der Partei einen Strich durch die Rechnung machen.

Indien ist mit 1,35 Milliarden Menschen die größte Demokratie der Welt. Wahlen werden regelmäßig zu einer logistischen Herausforderung. Daher wird in den größeren Staaten über mehrere Wochen gewählt. Die Stimmen der Wahlen aus den fünf Bundesstaaten werden ab 10. März ausgezählt, kurz darauf sollen die Ergebnisse feststehen – ein fixes Datum gibt es dafür nicht. (Anna Sawerthal, 18.2.2022)