Zugegeben, wie ein Schatz sehen Manganknollen auf den ersten Blick nicht aus. Fein mit Sand überzogen, nur wenige Zentimeter groß, liegen sie auf dem Meeresboden. Ihr Wert kommt zum Vorschein, wenn man sie zersägt: Dann zeigen sich Strukturen, die an die Jahresringe eines Baumes erinnern. Zu rund einem Drittel aus Mangan und einem Fünftel aus Eisen bestehen die grauen Knollen, dazu etwas Kupfer, Titan, Nickel und Kobalt. Über Jahrmillionen haben sich die zuvor im Meerwasser gelösten Metalle um einen Keim, etwa einen Muschelsplitter, abgelagert.

Weil die Metalle begehrt sind, wollen vor allem die Automobil- und die Elektronikindustrie die Manganknollen massenweise aus der Tiefsee holen. Das zerstöre unbekannte Lebensräume und könnte fatale Folgen haben, kritisieren NGOs und Forschende. Nur mit ihnen gelinge der Umstieg auf Elektromobilität, propagieren Bergbauunternehmen.

Bild nicht mehr verfügbar.

Der Abbauroboter Patania II soll demonstrieren, wie Tiefseebergbau bald im großen Maßstab funktionieren könnte.
Foto: Reuters/GSR/Johan Roggeman

Manganknollen liegen in mehreren Tausend Metern Tiefe vor der peruanischen Küste, unweit der Cookinseln im Indischen Ozean. Die reichsten Vorkommen birgt die sogenannte Clarion-Clipperton-Zone, die sich von Hawaii bis an die mexikanische Westküste erstreckt. Bis zu 21 Milliarden Tonnen Knollen vermutet man hier. In ihnen könnten über fünf Milliarden Tonnen Mangan stecken – zehnmal mehr als an der Erdoberfläche. Dazu kommen 274 Millionen Tonnen Kupfer und 44 Millionen Tonnen Kobalt.

Metalle für Autos und Handys

Diese Metalle braucht man für die Herstellung von Akkukathoden, wie sie in Smartphones oder Elektroautos verbaut sind. 56 Kilogramm Nickel, 85 Kilogramm Kupfer und sieben Kilogramm Mangan stecken in der Batterie eines durchschnittlichen E-Autos. Zwar wollen Hersteller den Kobaltanteil in ihren Batterien senken, schon allein aus Kostengründen. Dennoch werden Nickel und Kobalt immer begehrter. Bis 2050 könnte die Autoindustrie rund 800.000 Tonnen Kobalt benötigen, mehr als siebenmal so viel wie derzeit an Land gefördert wird. Die unscheinbaren Knollen in der Tiefsee sind für Bergbauunternehmen deshalb wahre Schätze.

Das Schicksal der Tiefsee entscheidet sich in Kingston, Jamaika. Dort sitzt die International Seabed Authority (ISA), eine internationale Organisation mit 168 Mitgliedern*. Sie soll den Tiefseebergbau verwalten, etwa Lizenzen vergeben.

Doch die ISA soll die Vorkommen eigentlich auch schützen. "Die Ressourcen sollen für nachfolgende Generationen noch zur Verfügung stehen. Die ISA soll auch überwachen, ob der Abbau nachhaltig ist", erklärt Alice Vadrot, Poltikwissenschafterin und Expertin für internationalen Meeresschutz. Die Organisation steht jedoch in der Kritik, den Schutz hintanzustellen und eher die Interessen der Industrie zu vertreten.

Enorme Eingriffe

Denn nach Seerechtskonvention sind die Knollen ein gemeinsames Erbe der Menschheit. In der Clarion-Clipperton-Zone sind 1,4 Millionen Quadratkilometer Meeresgrund geschützt, fast doppelt so viel sind zur Exploration freigegeben.

Um sie erkunden und in Zukunft ausbeuten zu können, braucht ein Unternehmen den Segen eines Mitgliedsstaats. 19 Staaten haben einen solchen bereits erteilt, darunter Deutschland, Frankreich, Russland und China. Auch Nauru, ein pazifischer 10.000-Einwohner-Inselstaat, hält eine Erkundungslizenz in Kooperation mit dem kanadischen Bergbauunternehmen TMC.

Bergbauunternehmen propagieren Tiefseebergbau als weniger umweltschädlich als den Abbau in Minen. TMC sagt sogar, dass nur durch ihn der Wechsel zum dekarbonisierten Verkehr zu schaffen wäre. Liegt die Lösung für den Umstieg auf grüne Mobilität also in der Tiefsee?

Forschungen zeigen, dass das wohl zu kurz gedacht ist. Denn Tiefseebergbau wird Lebensräume zerstören, über die wir weniger wissen als über die Oberfläche des Mondes. Eine Studie fand etwa vielfältige Lebensgemeinschaften, in denen die Manganknollen eine wichtige Rolle spielen. Ohne sie könnten Spezies aussterben. Der Lebensraum kaum erforschter Arten wie der Schuppenfußschnecke und des Dumbo-Oktopus würden zerstört. Denn der Eingriff durch den Abbau ist enorm.

Bild nicht mehr verfügbar.

Das Geld liegt nicht auf der Straße, sondern am Meeresgrund: In den unscheinbaren Manganknollen verbergen sich wertvolle Metalle.
Foto: Reuters/GSR

Mähdrescher am Meeresgrund

Mit "Mähdreschern, die über den Acker fahren" vergleicht Gerhard Herndl, Professor am Department für funktionelle und evolutionäre Ökologie der Universität Wien, die riesigen Kollektoren, mit denen die Knollen geerntet würden. Mähdrescher, die laut WWF so groß wie Einfamilienhäuser werden können.

Sie raspeln Seegurken und Korallen ab, zerstören die Bodenfauna, wirbeln Sediment auf. Mit fatalen Folgen: "Tiefseebergbau wäre ein Desaster für das örtliche Ökosystem. Tiefseeorganismen filtern durch ihren Kiemendarm die Nahrung aus dem Wasser. Wird dieser mit Schlamm verstopft, ist das desaströs", sagt Herndl. Das führe in weiterer Folge zum Verlust von Biodiversität am Meeresgrund. Dazu kommt Lärm, der auch Delfinen oder Walen zusetzen würde. Und: Tiefseebergbau kann toxische Elemente freisetzen, wie Ergebnisse des internationalen Forschungsprogramms Midas zeigen. Meeresfrüchte könnten kontaminiert werden, Abwässer der Schiffe durch den Ozean ziehen. Forscher und NGOs, aber auch einige große Unternehmen wie Google oder BMW, rufen deshalb immer wieder nach Moratorien.

Die Bergbauunternehmen stehen hingegen bereits in den Startlöchern. Vergangenes Frühjahr raspelte ein Kollektor des belgischen Bergbauunternehmens Global Sea Mineral Collectors erfolgreich Manganknollen aus 4,5 Kilometern Tiefe. In Amsterdam wird gerade ein ehemaliges Bohrschiff zum ersten Tiefseebergbauschiff der Welt umgerüstet. Sein Besitzer, die TMC, macht jetzt Druck.

Umweltschützende kritisieren Tiefsee-Bergbau scharf, wie hier im Mai 2021 beim Test von Patania II.
Foto: Greenpeace/Marten van Dijl

Das winzige Nauru, hinter dem das Unternehmen steht, sorgte im vergangenen Juni für Aufregung. "Der Inselstaat hat eine Zweijahresklausel geltend gemacht. Nun muss die ISA bis Juni 2023 einen Mining-Kodex verabschieden", erklärt Politikwissenschafterin Vadrot. Darin schreibt die "juristische und technische Kommission" fest, wie man die Tiefsee in "umweltbewusster Weise" ausbeuten will.

Den Kodex muss die Versammlung der 168 ISA-Mitgliedsstaaten im Konsens abstimmen. In dem Entwurf, in den die Autorin Einsicht nahm, sind wichtige Begriffe wie "damage to the marine environment" noch nicht definiert. Ob die Ausbeutung 2023 beginnt, ist also noch offen. Die ISA könnte sich auf höhere Gewalt berufen. Das Argument: Wegen der Pandemie konnte man sich kaum treffen und den Kodex nicht rechtzeitig fertigstellen.

Verursacher sollen zahlen

Bevor die Ausbeutung beginnt, sollten Staaten zudem eine Umweltverträglichkeitsprüfung einreichen. Daran gibt es allerdings Kritik – auch von Politikwissenschafterin Vadrot: "Selbst wenn sie in der Lage sind, diese durchzuführen, hat die ISA keinen Mechanismus, um Ergebnisse zu bewerten. Der Großteil der Forschung in der Clarion-Clipperton Zone wird von der Tiefseebergbauindustrie finanziert." Eine weitere Frage ist, was passiert, wenn Ökosysteme schwer beschädigt werden. Im Entwurf des Kodex steht aktuell noch ein "Polluter pays"-Prinzip. Nach diesem sollen Vertragseigentümer "Ausgleichsmaßnahmen" setzen müssen. Doch wie stellt man einen Lebensraum wieder her? Vor allem einen, über den man kaum etwas weiß?

Auch wenn man noch nicht genau weiß, wann – die Manganknollen werden geschürft werden. Schließlich steckten Unternehmen und Staaten schon Unmengen Geld in ihre Erkundung.

Die Tiefseeökosysteme werden sich wohl lange nicht davon erholen. Das zeigt ein Experiment aus dem Jahr 1989. Damals simulierten Forscher im Perubecken die Entnahme von Manganknollen mit einer Pflug-Egge. Nach 26 Jahren war die Diversität und Zusammensetzung der Spezies noch immer gestört, der Boden tief zerfurcht. Dazu kommt, dass in der Tiefsee etwa gleich viel Kohlenstoff gespeichert ist wie in der Atmosphäre. Welche Folgen es für unser Leben auf dem Festland haben wird, wenn der Tiefseeboden umgegraben wird? Das bleibt ein weiterer dunkler Fleck in der unbekannten Welt auf dem Meeresboden. (Laura Anninger, 21.2.2022)